Leben in der Stadt – Zwischen Euphorie und Depression
Immer mehr Menschen in Deutschland leben in der Stadt.1 Besonders die kulturellen und kosmopolitischen Ballungsräume wie Berlin, München, Hamburg, Stuttgart oder das Rhein-Main-Gebiet ziehen seit Jahren große Teile der Bevölkerung in ihren Bann.2 Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Gute Verkehrsanbindung, kurze Wege, viele Angebote für Freizeit, Kultur und Sport sowie die berühmte Anonymität der Masse. Darüber hinaus findet man gute Karrierechancen sowie viele Möglichkeiten auszugehen, Freund:innen zu treffen und die eigene Persönlichkeit voll und ganz ausleben zu können.3,4
Doch das Leben in der Stadt wird oft teuer bezahlt: Kauf- und Mietpreise in deutschen Ballungsgebieten steigen und sorgen für einen enormen finanziellen Druck sowie Frust bei der Wohnungssuche.5,6 Versuche, den zugespitzten Wohnungsmarkt aufzulösen, gestalten sich als schwierig, wie der Berliner Mietendeckel und weitere verfehlte politische Ziele der Bundesregierung zeigen.7,8 Zudem weisen Studien seit geraumer Zeit darauf hin, dass Menschen in der Stadt deutlich öfter an psychischen Störungen leiden – besonders das Risiko an Schizophrenie und/ oder Depressionen zu erkranken steige enorm.9,10,11
Die Gründe dafür sind wissenschaftlich noch nicht final geklärt, die Effekte aber stärker zu beobachten, je größer die Stadt sei. Es wird daher vermutet, dass dies vor allem auf den sozialen und finanziellen Druck sowie die enorme soziale Dichte zurückgeht – die wiederum das Gefühl der Einsamkeit in der Masse und der sozialen Isolation erzeuge. Auch das ständige Grundrauschen der Stadt verändert die Wahrnehmung, das Stresslevel und die Emotionalität der Menschen. So sagt beispielsweise Prof. Dr. Mazda Adli von der Berliner Charité: „Das Gehirn von Stadtbewohnern reagiert empfindlicher auf sozialen Stress“ und führt aus, dass dieser „für diejenigen toxisch [wirkt], die ihn nicht kompensieren können“.12
Das Paradox der glücklichen Landbevölkerung
Dass die Menschen in der Stadt sein wollen, dort aber im Schnitt unglücklicher und anfälliger für psychische Krankheiten sind, als diejenigen auf dem Land, wird in der Forschung auch unter dem „rural happiness paradox“ zusammengefasst. Das „Paradox der glücklichen Landbevölkerung“ wurde vor allem in westlichen Industrienationen nachgewiesen.13,14 Besonders zwei Gründe werden dabei immer wieder in den Fokus der Forschungen gerückt: die Nähe zur Natur und der starke soziale Zusammenhalt auf dem Dorf. 15
Dass diese beiden Faktoren eine besondere Wichtigkeit für das persönliche Glück der Menschen innehaben, wurde bereits in Forschungen anderer Disziplinen nachgewiesen. So zeigt die soziologische Netzwerkforschung die Bedeutsamkeit enger sozialer Bindungen.16,17 Psychologische Arbeiten zeigen, dass schon wenige Stunden in der Natur die emotionale Gesundheit signifikant erhöhen.18 Zudem wirken Ruhe, Entschleunigung und landschaftliche Weite positiv, die in der Enge der Stadt oft vergeblich gesucht werden.
Neuere wissenschaftliche Arbeiten zeigen zudem, dass der Besitz von Eigenheim einen signifikanten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat.19 Ein Meilenstein, der für viele Stadtbewohner in weiter Ferne scheint, während Bundesbauministerin Klara Geywitz zuletzt auf “schätzungsweise 1,7 Millionen leerstehende Wohnungen“ im ländlichen Raum verwies.20 Gepaart mit geringeren Kauf- und Mietpreisen durchaus eine interessante Möglichkeit, das eigene Lebensglück zu finanzieren sowie nachhaltig und gesund zu leben. Nur eben außerhalb der Stadt.
Glückliche Zukunft auf dem Land?
Auch wenn dieses Szenario für viele Stadtbewohner:innen nicht vorstellbar zu sein scheint, da das Landleben oft für Langeweile, fehlende Flexibilität und konservative Werte steht, lohnt es sich hier vielleicht, den eigenen Standpunkt einmal zu überdenken. Was ist uns im Leben langfristig wichtig? Und: Ist das Leben auf dem Land so verschlafen, wie viele denken?
Wohl kaum – viele junge Menschen arbeiten nämlich schon seit Jahren daran, städtische Erfolgskonzepte auf dem Land zu etablieren. Zudem versucht die Bundesregierung mit verschiedenen Modellprojekten zur digitalen und kulturellen Aufwertung der ländlichen Regionen21,22 die Attraktivität dieser auch für junge Menschen weiter zu erhöhen. Klar ist aber auch: Um das Leben auf dem Land wirklich attraktiv zu machen, sind bezahlbare und nachhaltige Mobilität sowie der flächendeckende Ausbau der Glasfaser- und Mobilfunknetze Voraussetzung.
Auf der anderen Seite sorgen auch genau diese “kleinen Fehler” für die Romantik auf dem Land: nicht immer erreichbar, nicht immer greifbar und vor allem nicht immer online. Die Renaissance des Landlebens ist sicher nicht das Allheilmittel für die gesellschaftlichen Probleme dieser Zeit, aber das ländliche Leben durchaus besser als sein Ruf – und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auch besser für die eigene Gesundheit als der Trubel und die Enge der großen Städte.
Eigentlich ist dieses Landleben auch gar nicht weit weg von den Prioritäten der jungen, umweltbewussten Generationen: naturnah, nachhaltig und gut für die eigene Gesundheit. Die Aussicht auf weniger finanziellen Druck und sozialen Stress, dafür auf mehr sozialen Zusammenhalt sowie geringere Mieten können dabei zudem durchaus reizvoll sein.23,24
2: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/startseite/topmeldungen/2020-wachsend-schrumpfend.html
3: https://www.deutschland.de/de/topic/kultur/stadt-oder-land-wo-junge-deutsche-leben-wollen
4: https://wohnglueck.de/artikel/leben-in-der-stadt-83238
6 : https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/miete-einkommen-haushalte-101.html
8: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/geywitz-wohnungsbauziel-101.html
10: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1347-4812
12: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998
13: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0049089X21000582
14: https://www.jstor.org/stable/pdf/resrep25851.7.pdf
17: https://www.jstor.org/stable/pdf/2676330.pdf
18: https://ana-magazin.de/natur-auf-rezept/
19: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-weniger-sorgen-im-eigenen-haus-1.3780422
22: https://www.bmel.de/DE/themen/laendliche-regionen/digitales/land-digital/mud-land-digital.html
23: https://www.zeit.de/news/2022-04/28/dorf-statt-grossstadt-jugendliche-wollen-eher-aufs-land
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