Männlichkeit

Marlon Brando hätte heute Kleid getragen

– oder auch: Männlichkeit im Laufe der Zeit.

Künstler wie Lil Nas X und A$AP Rocky prägen schon seit einiger Zeit die Welten von Mode und Musik. Mit androgynen Looks sorgten sie in der Vergangenheit öfter für Aufsehen auf den roten Teppichen dieser Welt. Ryan Gosling und Brad Pitt stehen schon seit Langem für das Bild des „klassischen, schönen Mannes“, der Sexappeal ausstrahlt und trotzdem etwas ganz Sanftes hat. Kollegah wiederum fällt durch seine abfälligen Textzeilen über Frauen auf und stilisiert sich selbst als „Übermann“. Prägnante Eigenschaften: muskelbepackt und misogyn.

Alle fünf verbindet eines: Sie sind Männer. Schon anhand dieser Beispiele ist erkennbar, dass eine klare „Kategorie Mann“ schwer abzustecken ist. Was heißt es, ein Mann zu sein? Das sogenannte “Männerbild” hat sich im Laufe der Zeit immer wieder stark verändert und durchlief unterschiedlichste Phasen. Wie entwickelt sich so etwas – und wo stehen wir heute? Starten wir eine Indiziensuche.

Wie entsteht sowas wie “Männlichkeit” eigentlich?

Kultur kann man als so etwas wie die Ausdrucksform von unterschwelligen Bewegungen  innerhalb einer Gesellschaft beschreiben. Künstler:innen haben in allen Zeiten Empfindungen und Strömungen in ihren Arbeiten zum Ausdruck gebracht, haben parallele und sehr reale Welten erschaffen. Die jeweils dominierenden Medien hatten dadurch großen Einfluss. So ist es nicht verwunderlich, dass zunächst der Film, dann die Musikindustrie Helden zeichnete, an denen sich ganze Generationen orientierten. Der folgende Abriss hat keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Er soll lediglich aufzeigen, wie verschiedene kulturelle Erzeugnisse auf die Ideen und das Denken der jeweiligen Zeit Einfluss genommen haben.

Marlon Brando schuf beispielsweise mit seiner Verkörperung des Stanley Kowalski in Endstation Sehnsucht (im Original: A Streetcar named desire) im Jahr 1951 ein Symbolbild neuer amerikanischer Männlichkeit: unverblümte Sexualität, die jedoch launenhaft, gedämpft und melancholisch daherkam. Die Rolle fügte sich zusammen aus unterschwelliger Gefährlichkeit und gedämpfter dunkler Sicht auf das Leben – eine Mischung, die die damalige Nachkriegsgeneration ins Herz traf. Auch sein Look, Blue Jeans mit engem, weißen T-Shirt, etablierte sich nachhaltig.

Rambo und Arnie spielen Krieg: die 80er Jahre

In den 80er Jahren zog dann John Rambo in die Jugendzimmer: oberkörperfrei, durchtrainiert und meistens mit einer Waffe in jeder Hand. Der Protagonist der gleichnamigen Filme stand für rohe Gewalt und Kraft, die sich ihren eigenen Weg sucht – ohne Rücksicht auf Verluste. Die Konflikte der Zeit wie der Kalte Krieg und der erst im Jahr 1975 beendete Vietnamkrieg wurden zum Stoff, der in der filmischen Auseinandersetzung bearbeitet wurde. Blutiges fand so seinen Weg in die Kinos. Auch Arnold Schwarzenegger dominierte das Bild der muskelbepackten Kampfmaschine, die mit Stärke und Waffenkraft zu überzeugen weiß. Zunächst in seiner Rolle als Conan der Barbar im gleichnamigen Film (1982), dann in Terminator (1984).

Die 90er waren geprägt von Boybands wie den Backstreet Boys und *NSYNC. Hier wurden alle möglichen Typen von Männern gecastet, um möglichst viel Publikum anzuziehen. Egal ob der Schöne, der Draufgänger oder der Softie: Für jeden Geschmack war immer etwas dabei. Mit dem neuen Jahrtausend wurde eine neue Phase der Zerstreuung eingeläutet: Durch das Aufkommen des Internets verloren Einzelmedien ihren Alleinstellungs-Einfluss, Informationen wurden immer zentraler und allgemeiner abruf- und verteilbar. Und in Sachen Männlichkeit? Insbesondere David Beckham prägte mit seinem Auftreten das Bild der Metrosexualität. Das bedeutete, dass mehr Weichheit Einzug hielt in das Männerbild: Weibliche Züge wie Sinn für Mode und ein Hang zur Extravaganz wurden salonfähig für heterosexuelle Männer.

Männlichkeit heute: Und nun?

Die männliche Dominanz ist in bestimmten gesellschaftlichen Hinsichten spätestens seit dem Durchbruch der #Metoo-Skandale und -Debatten hinfällig geworden. Es gibt nicht mehr das eine Bild von Männlichkeit, das bestimmend ist. Vielmehr ist einzig „toxische Männlichkeit“, also das extreme Ausstellen typisch männlicher Merkmale, in vielerlei Hinsicht zu einem höchst verwerflichen Konzept geworden. Es existieren alle möglichen Ausprägungen vom „Mann sein“ parallel: Einerseits ist es möglich, sich der „Boss-Transformation“ von Kollegah zu unterziehen, um ein echter Typ und Gewinner zu werden, andererseits blüht die queere Community so stark auf wie vielleicht noch nie. Männer, die sich die Fingernägel lackieren und Make-up tragen, sind keinerlei Seltenheit mehr. Modisches Verständnis hat schon lange nichts mehr mit Weiblichkeit zu tun und wer muskulös ist und gerne ins Fitnessstudio geht, muss trotzdem nichts Toxisches an sich haben.

Bunt ist immer besser.

Herbert Grönemeyer fragte bereits in den 80er Jahren in seinem erfolgreichen Song Männer: „Wann ist ein Mann ein Mann?“ Bis heute kann darauf wohl niemand so wirklich eine Antwort geben – und das ist gut so! Sogenannte “Männlichkeit” ist nicht und sollte niemals in einer bestimmten Checkliste von Verhaltensweisen oder Entscheidungen eingesperrt sein. Macht man sich bewusst, dass dieses Bild geformt ist von Einflüssen, Meinungen und kulturellen Erzeugnissen, wird es einfacher, sich von dessen absolutem Anspruch zu lösen. Gesellschaftliche Erwartungen zu verneinen, ist niemals einfach. Solange niemand anderes eingeschränkt wird, sollte jeder aber so sein dürfen, wie er sein möchte. Zum Glück ist ein aktueller Trend erkennbar: Männlichkeit wird vielfältiger. Und Vielfalt ist immer erstrebenswert.

Sokra, 2022: https://sonjakrause-malerei.de/

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