CR7 macht den Anfang
Der Transfer von Cristiano Ronaldo (38) zum Saudi-Pro-League-Klub al-Nassr FC sorgte im Januar für großes Aufsehen. Ronaldo war zum damaligen Zeitpunkt höchst unzufrieden bei seinem Arbeitgeber Manchester United und wurde mit einem Jahresgehalt von rund 200 Millionen Euro in den Wüstenstaat gelockt. Finanziert wurde der Transfer mit Geldern aus dem saudischen Public Investment Fund (PIF), dessen finanzielle Ressourcen sich auf rund 650 Milliarden Euro belaufen sollen1. Im Juni wurde bekannt, dass der amtierende Ballon d’Or Gewinner Karim Benzema (36) Ronaldo in den Wüstenstaat folgen wird. Er erhält von seinem neuen Arbeitgeber al-Ittihad stolze 55 Millionen Euro im Jahr. Sein Landsmann N’Golo Kanté (32), der ab der kommenden Saison ebenfalls für al-Ittihad auflaufen wird, soll im Jahr 100 Millionen einstreichen. Mitte August wurde auch der Transfer von PSG-Star Neymar (31) bekannt. Er wechselt von der französischen Hauptstadt für 80-100 Millionen Euro zu al-Hilal und soll in seinen zwei Vertragsjahren ein Grundgehalt von 200 Millionen Euro einstreichen2.
Neben Kanté werden zwei weitere Chelsea-Spieler in der kommenden Saison in der Saudi-Pro-League antreten: Kalidou Koulibaly (32, al-Hilal SFC), Torwart Edouard Mendy (31, al-Ahli SFC). Auch Spieler im besten Alter, wie Rúben Neves (26), der für 55 Millionen Euro von Wolverhampton zu al-Hilal wechselt oder Jota (24) der Celtic Glasgow für eine Ablöse von knapp 30 Millionen verlässt, zieht es in den Wüstenstaat. Eine wichtige Anmerkung am Rande: Dem PIF gehören 75 % der Anteile an den saudischen Klubs al-Ahli, al-Hilal, al-Ittihad und al-Nassr (sowie 80 % des Premier-League-Klubs Newcastle United)3.
Zwischen Sportswashing und Tourismus
Genug der Namen und Zahlen; was will der Wüstenstaat mit diesen hochkarätigen Transfers bezwecken? Die Fußballzeitschrift Kicker hat zu dieser Fragestellung Robert Chatterjee interviewt. Chatterjee ist stellvertretender Chefredakteur des Fachmagazins zentih, das sich mit der Politik, Wirtschaft und Kultur der arabisch-islamischen Welt beschäftigt. Er nennt als ersten Grund für die Transfers das sogenannte Sportswashing – ein Begriff, der vielen von der letztjährigen Katar-WM noch im Gedächtnis sein könnte (auch wir hatten das Thema aufgegriffen). Laut Chatterjee verfolgt Mohammed bin Salman, der saudische Kronprinz, Premierminister und Vorsitzende des PIF, mit dem Sportswashing aber auch innenpolitische Ziele. So solle der unzufriedenen Jugend in dem traditionell konservativen Land etwas geboten werden. Generell gewähre die jetzige Regierung viel mehr individuelle Rechte und Aktivitäten wie etwa die Autofahrerlaubnis für Frauen, Aufhebung der Kopftuchpflicht, Kinobesuche, Raves und eben Stadionbesuche, bei denen in der kommenden Saison Weltfußballer auflaufen werden. Die Jugend solle so über das, was „schlecht läuft“ hinwegsehen. Die Verpflichtung von Ronaldo habe gezeigt, dass die Saudis sich durchaus für Fußball begeistern können. Die Zuschauerzahlen in Stadien stiegen stark an, die Einschaltquoten haben sich fast verdoppelt. Chatterjee spricht von einer „ehrlichen und nicht von oben bestimmten Fußballeuphorie“.
Der Plan, die Saudi-Pro-League lukrativer zu machen, schlägt also Funken. Durch weitere Transfers vom Kaliber CR7 erhofft man sich mehr Ticketverkäufe, mehr Sponsoring-Gelder, mehr TV-Einnahmen4. Es ist eine Investition in die wirtschaftliche Zukunft des Landes, abseits von Ölgeschäften. So sollen bis 2030 zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch den Tourismus erwirtschaftet werden. Im Moment sind es nur drei Prozent5. Eine heimische Liga mit Weltklasse-Fußballern macht das Land auf jeden Fall nicht unattraktiver für Tourist:innen.
Man sollte auch nicht vergessen, dass es sich bei Spielern wie Benzema, Kanté oder Koulibaly um stolze, gläubige Muslime handelt. Diese seien laut Chatterjee größere Identifikationsfiguren für die Region und fühlen sich als Muslime in einem muslimischen Land sehr wohl. So gab Koulibaly der Corriero dello Sport kürzlich in einem Interview zu verstehen: „Ich bin glücklich, weil ich Muslim bin und in das richtige Land komme“6. Benzema äußerte eine ähnliche Sichtweise: „Ich bin Muslim, es ist ein muslimisches Land und ich möchte dort leben. Es ist gut, in einem muslimischen Land zu sein, wo ich bereits das Gefühl habe, dass die Menschen mich lieben […] Ich möchte fließend Arabisch sprechen, das ist wichtig für mich. Mekka ist auch ganz in der Nähe und wichtig für einen Gläubigen wie mich.7
Keine Bauchschmerzen bei Handel mit autoritärem Staat
Des Weiteren dienen die Transfers Chatterjee zufolge dazu, die Hemmschwelle zu überwinden, als Profi-Fußballer in ein Land zu wechseln, in dem Menschenrechtsverletzungen vom Staat initiiert sowie politische Gegner:innen eliminiert8 und Indigene für ein absurdes Bauprojekt zwangsumgesiedelt bzw. getötet werden9. Außerdem mindere dies auch das schlechte Gewissen bei westlichen Unternehmen, Geschäfte mit Saudi-Arabien zu machen10. Ein gutes Beispiel dieser bereits vor Jahren einsetzenden Kooperation sind die zahlreichen Trainingslager, die westliche Fußballklubs in Dubai abhalten. Die Vereine genieren Aufmerksamkeit und Fans in Regionen, in denen sie vorher noch keine hatten, was im besten Fall zu mehr Einnahmen führt. Gleichzeitig können sich die VAE als modernes und attraktives (Urlaubs)Land inszenieren. So war Saudi-Arabien in den letzten Jahren immer wieder Austragungsort von internationalen Sportevents, wie beispielsweise der Supercopa de España, der WWE, der Handball-Klub-WM, Formel-1-Rennen oder der FIFA-Klub-WM 202311.
Wenngleich die Bewerbung für die WM 2030 zurückgezogen wurde, sei eine WM in Saudi-Arabien laut Chatterjee nur noch eine Frage der Zeit. Saudische Offizielle würden derzeit viel durch die Welt reisen und vor allem in Afrika Abkommen zur Entwicklung des Fußballs unterschreiben. Damit sollen Sympathiepunkte und Stimmen von Offiziellen der afrikanischen Nationalverbänden gesammelt werden, die im FIFA-Komitee an der Abstimmung für die WM-Vergabe teilnehmen.
Neuordnung der Fußballgroßmächte?
Im Moment lässt sich für die Zukunft des europäischen Profi-Fußballs noch nicht konkret sagen, was die saudische Intervention auf dem hiesigen Transfermarkt auf lange Sicht bedeutet. Die Liste von Spielern, die in die Saudi Pro League wechseln, wird definitiv länger und das Transferfenster ist bis zum ersten September geöffnet. Die zumindest kurzfristig gute Nachricht für alle, die einen sofortigen Ausverkauf der Top-5-Ligen befürchten: In der Saudi-Pro-League gibt es im Moment noch eine Ausländerbeschränkung, die besagt, dass in einer laufenden Saison nur acht ausländische Spieler pro Klub eingesetzt werden dürfen. Die vier Staatsfonds-Klubs sind diesbezüglich schon fast am Limit. Zumal die Saudi-Pro-League sowieso nur aus 16 Vereinen besteht, von denen, wie bereits erwähnt, nur vier Stück vom Staatsfonds finanziert werden. Beides kann sich natürlich schnell ändern. Außerdem: Ein talentierter junger Spieler, der in die SPL wechselt, muss dort nicht für immer bleiben. Nachdem er innerhalb von ein paar Jahren für seine komplette Blutlinie ausgesorgt hat, kann er immer noch in eine der europäischen Top-5-Ligen zurückrückkommen. Im Moment nehmen die PIF-Klubs vor allem Spieler ins Visier, die bereits einen großen Namen haben und sich in ihren letzten Jahren als Profifußballer die Nase vergolden wollen.
Unter Fußballfans und – romantiker:innen dominiert immer noch die Meinung, Vereine sollten durch sportliche Erfolge zu Geld und Prestige gelangen. Verkehrt ist das keinesfalls, jedoch mittlerweile einfach obsolet und realitätsfern. Vereine ohne große „prä-Investor-Erfolgsgeschichte“ wie ManCity oder überhaupt Vereinstradition wie Energydrink Leipzig sind etablierte Player im europäischen Fußballgeschäft. Ablösesummen und Gehälter steigen und steigen und wer ganz oben mitmischen will, muss das nun mal akzeptieren.
Wer ist der wahre Sündenbock?
Für ihre Menschenrechtsverletzungen und Wertvorstellungen ernten die saudischen und katarischen Machthaber zu Recht Kritik. Man muss sich jedoch die Frage stellen, ob die Schuld nicht viel mehr bei denen liegt, die mit ihnen Geschäfte machen und davon profitieren. Ist es nicht normal, als Staat das Beste für seine Wirtschaft zu wollen? Ist es nicht das gute Recht der Saudis, ihr Geld in ihre eigenen Klubs zu stecken und dem Land eine lebendige Fußballkultur einzuhauchen, statt Unsummen in europäische Klubs zu pumpen? Es ist nicht die Schuld der Saudis, dass Vereine superreiche Großinvestoren mit Handkuss nehmen. Es ist nicht die Schuld der Saudis, dass es vielen Fußballern heute mehr um Geld und Reichtum als Titel und Prestige geht. Es ist nicht die Schuld der Saudis, dass die FIFA eine korrupte, kriminelle Vereinigung ist und die UEFA in vielen Bereichen des Financial Fairplay nicht konsequent durchgreift, geschweige denn überhaupt Regeln aufstellt. Es ist auch nicht die Schuld der Saudis, dass praktizierende Muslime und die arabische Sprache in vielen europäischen Ländern von der weißen Mehrheitsgesellschaft immer noch kritisch beäugt werden, auch wenn sie über den Status und die gar unendlichen Privilegien eines Profi-Fußballers verfügen. Warum also sollte die saudische Regierung anders handeln als im Moment? Nicht Erling Haaland, sondern Geld dominiert den Fußball, ob es den Fans gefällt oder nicht.
Schön ist das nicht, und die Vorstellung, dass mittelmäßige Spieler von mittelmäßigen Vereinen in ein paar Jahren 100 Millionen Euro Ablöse kosten, 40 Millionen Jahresgehalt einstreichen und die Pay-TV-Sender Sky und DAZN 200 Euro im Monat kosten erzeugen beim Fußballfan großes Unbehagen. Wie lange wird es dauern, bis ein Saudi-Pro-League-Klub in der UEFA Champions League antritt, nachdem nun ein Antrag auf eine Wildcard gestellt wurde?12 Und überhaupt; ist diese willkürliche Zusammenstellung von namenhaften Spielern überhaupt international erfolgsversprechend? Könnten die großen Summen auch Kult-Trainer wie Jürgen Klopp zu einem Wechsel an den Persischen Golf überzeugen? Werden Bin Salman und Co noch andere Sportarten ins Visier nehmen, abgesehen von Fußball und Golf13? Wird dort eine Basketball-Euphorie ausbrechen, nachdem man möglicherweise LeBron James auf seine alten Tage noch mal ein neun- oder zehnstelliges Angebot unterbreitet, um etwa die Saudi Basketball League aufzublasen? Es bleibt sowohl spannend als auch ein wenig beängstigend wie sich dieses sportlich-wirtschaftliche Novum auf lange Sicht auf den Transfermarkt, die europäischen Ligen und vor allem kleine Vereine mit wenig Budget auswirken wird. Dennoch, mark my words: Don’t hate the player, hate the game!
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1 https://www.zawya.com/en/wealth/wealth-management/saudis-public-investment-fund-manages-650bln-in-assets-governor-lv5vqocm
2 https://www.kicker.de/neymar-begruendet-wechsel-und-lobt-cr7-alle-nannten-ihn-verrueckt-963924/artikel
3 https://english.alarabiya.net/features/2023/06/08/Analysis-PIF-s-acquisition-of-Saudi-football-Klubs-sets-stage-for-sports-revolution-
4 https://www.kicker.de/welches-ziel-verfolgt-saudi-arabien-957722/video
5 https://www.constructionweeksaudi.com/news/saudi-crown-prince-launches-eif-to-oversee-the-development-of-more-than-35-venues-by-2030
6 https://onefootball.com/de/news/koulibaly-i-giocatori-devono-restare-a-napoli-per-il-bis-37744373
7 https://www.corrieredellosport.it/news/calcio/calcio-estero/2023/06/08-108789308/benzema_all_al-ittihad_vi_svelo_perche_ho_fatto_questa_scelta_
8 https://www.wsj.com/articles/missing-saudi-journalist-was-killed-in-consulate-turkish-police-say-1538897699
9 https://www.aljazeera.com/news/2020/4/15/saudi-forces-kill-man-who-refused-to-give-up-property-activists
10 https://www.sportschau.de/golf/saudi-arabien-sportswashing-ronaldo-benzema-golf-100.html
11 https://www.sportschau.de/golf/saudi-arabien-sportswashing-ronaldo-benzema-golf-100.html
12 https://athletistic.com/football/346476.html
13 https://www.sportschau.de/golf/pga-liv-tour-einigung-saudi-arabien-100.html
Der Artikel spricht mir aus dem Herzen !