Über das Leben in Sizilien

Wir haben ein Haus gekauft. Irgendwo in den Bergen Siziliens, 700 Meter über dem Meeresspiegel, zehn Kilometer vom Strand entfernt: Ein Text über persönliche Erfahrungen im ländlichen Sizilien.

Warum Sizilien? Weiß ich auch nicht so genau.

Süditalien ist sehr eigen. Man fühlt sich manchmal fünfzig Jahre in die Vergangenheit versetzt. Vielleicht ist es diese Einfachheit, die ihren Reiz hat. Die Landschaft ist absolut wild und man kann sich gar nicht satt sehen an dem Blütenmeer aus Oleandern und Bougainvillea.

Nach vielen Sommern in der Region ergab sich die Gelegenheit, dort dieses Haus zu kaufen. Es ist weit über 100 Jahre alt, ein richtig altes Steinhaus. Der Schnitt ist nicht perfekt und irgendwie ist es auch nicht groß genug für das, was wir vorhaben. Aber für mich ist dieses Haus ein zu Hause geworden.

Die zu heißen Sommer lassen sich hier gut aushalten, weil wir auf dem grünen Teil im Norden der Insel wohnen. Die Höhe macht einen erfrischenden Temperaturunterschied aus. Eine Sache, an die ich mich noch immer gewöhnen muss, sind die Wetterextreme. Scirocco, das ist heißer und außerordentlich heftiger Wind, der aus der Sahara kommt und regelmäßig alles zerstört, was ihm in den Weg kommt und überall einen roten Sandfilm hinterlässt. Nieselregen gibt es nicht. Es regnet entweder extrem oder eben für mehrere Monate gar nicht. Nach einem mehrtägigen Dauerregen kommt es an den vielen ungesicherten Straßen zu Erdrutschen. Im Sommer ist es fast alltäglich, ringsum an kleineren oder größeren Waldbränden vorbeizufahren.

Ich lerne jeden Tag etwas dazu.

Renovierungsarbeiten machen wir hauptsächlich selbst, ich restauriere die alten Möbel und verlege Terracottafliesen. Wir reißen ein und ziehen Wände hoch, aber immer mit dem Gedanken, so viel wie möglich zu erhalten und alte Materialien zu neuem Leben zu erwecken. Denn die gibt es hier zur Genüge. Wir sind umzingelt von wunderschönen zerfallenen Häusern. Jedes hat seine eigene Geschichte zu erzählen und jedes hat eine einzigartige und atemberaubende Aussicht auf die Berge. Viele von den Häusern gehören den Leuten, die den Boden einst bewirtschaftet haben.

Doch die Leute können nicht mehr von ihrem Land leben. Arbeitsplätze sind rar und bleiben oft „in der Familie“. Deswegen ziehen sie weg. Sie schicken ihre Kinder nach Norditalien oder Deutschland, in der Hoffnung, dass sie mehr Chancen auf Arbeit und ein besseres Leben haben. Dies ist auch einer der Gründe, warum mir manchmal kritisch, manchmal mit großer Freude begegnet wird. Einerseits finden es die Einheimischen schön, dass sich endlich mal wieder jemand um ein über Jahre verwahrlostes Grundstück kümmert. Andererseits verstehen sie es auch nicht. Warum sollte jemand aus dem reichen Norden in den Süden ziehen und noch dazu in eine Stadt mit knapp 2.700 Einwohner:innen? Ich weiß, dass ich für immer und ewig „die Deutsche“ sein werde. Meinen Touristen-Status werde ich wohl nicht so schnell verlieren.

Die Wahrheit ist, ich liebe Italien.

Ich liebe die Natur, das Essen und die Einsamkeit der Berge. Hoffentlich können wir bald diese Liebe teilen, indem wir Zimmer an Gäste vermieten, die genau dasselbe suchen.

Unser Wasser für Haus und Gemüsegarten beziehen wir aus unseren eigenen Quellen. Das Recht an den Quellen ist an das Grundstück gebunden und so antik, dass es nirgendwo schriftlich zu finden ist. Wahrscheinlich wurde die Abmachung vor vielen Jahren mündlich getroffen, wird aber noch Generationen später respektiert. Es entspringt etwa hundert Meter über unserem Haus und wird zwischen drei Nachbar:innen aufgeteilt. Vor allem jetzt im Sommer bin ich unendlich dankbar für dieses Privileg. Das Trinkwasser müssen wir uns an den öffentlichen Quellen abfüllen, solange, bis wir es endlich mal schaffen, das Wasser aus unseren Quellen auf Trinkwasserqualität testen zu lassen.

Das Leben ist sehr durch die verschiedenen Erntesaisons geprägt.

Da ist im Winter die Zitrusernte. Im Frühjahr muss der Gemüsegarten vorbereitet werden, den hier jeder hat. Die Frauen kochen draußen im Sommer Passata di Pomodoro für das ganze Jahr ein. Wenn ich mich ihnen nähere, fragen sie mich, ob ich meine Periode habe, denn das verdirbt ihrer Erfahrung nach die Salsa.

Danach kommt die Haselnussernte, die Weinlese und die Kastanien. Von November bis in den Januar sind die Olivenhaine an der Reihe.

Bei der Olivenernte bekommen Frauen zwanzig Euro weniger am Tag als Männer, natürlich alles bar auf die Hand. Die Männer schlagen mit langen Stöcken die Oliven von den Bäumen, so wie früher. Wenn ich mal zum Stock greife, fühle ich mich beinah radikal. Die Frauen legen die Netze aus und tüten die Oliven wieder ein, was am Hang eine ziemliche Schwerstarbeit ist. Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit die Sizilianerinnen dieselbe Arbeit erledigen und nebenbei noch plaudern, telefonieren oder eine Zigarette rauchen, obwohl sie doppelt so alt sind wie ich. Manchmal streiten sie auch, wie man das Erntenetz am besten platzieren sollte. Die Belohnung ist die erste Pressung, bei welcher wir mit unserem 30 Liter Kanister einen Teil unseres Lohns direkt in der Mühle in Form von feinstem Bioolivenöl abholen. Wir zahlen als Erntehelfer:innen neun Euro für einen Liter Olivenöl. Die meisten unserer Nachbar:innen sind nicht wohlhabend, aber trotzdem würden sie niemals billiges Öl aus dem Supermarkt kaufen.

Leider muss ich feststellen, dass mein Grundvertrauen in meine Mitmenschen regelmäßig auf die Probe gestellt wird.

Letztes Jahr wurde unser Auto aufgebrochen und unser darin befindliches Bargeld geklaut. Dienstleistende versuchen, dir enorme Summen Geld abzuknöpfen. Wenn dir jemand versichert, dass er dir ein wichtiges Dokument zuschicken wird, kannst du davon ausgehen, dass du nie wieder von dieser Person hören wirst. All das ist nicht unbedingt ein spezifisches Verhalten gegenüber mir als Ausländerin, sondern lediglich der Umgang der hier untereinander herrscht. Es kann sehr frustrierend sein. Wenn man sich darüber ärgert, ist die einzige Antwort: „Sei in Italia!“ – Du bist in Italien!

Aber auf der anderen Seite ist da die Frau der Gelateria, die uns jedes Mal Eis spendiert, einfach nur weil sie uns nett findet. Oder die Carabinieri, die dann doch noch mal ein Auge zudrücken, obwohl der Führerschein abgelaufen ist. Der fremde Mann, der einfach mal „Ciao“ sagen will, in dem er eine Salami und Wein vorbeibringt oder der Nachbar, der immer mit Rat und Tat zur Seite steht.

Im Sommer fahren wir fast jeden Tag zum Meer.

Dort ziehe ich meine Bahnen und schaue dabei den Fischen zu. Unser Garten quillt unterdessen vor Obst und Gemüse über. Die Farben strahlen.

Die Winter wiederum sind länger und härter, als ich es erwartet habe. Bei schlechtem Wetter gibt es keine Museen oder schöne Cafés, um sich die Zeit zu vertreiben. Auch der nächste Flohmarkt ist zwei Stunden entfernt. Alles Dinge, die ich früher gern gemacht habe und nicht mehr machen kann.

Das erste Jahr hier war ein einziges Abenteuer an neuen Eindrücken und Entdeckungen. Das zweite Jahr war einfach nur anstrengend. Ich denke, sobald Neues zur Gewohnheit wird, sieht man die schönen Seiten weniger. Dies wird mir immer wieder bewusst, wenn ich Freund:innen zu Besuch habe, die mir in Erinnerung rufen, was für ein Paradies wir hier gerade erschaffen. Denn das ist es: ein ganz besonderes Fleckchen Erde.

sokra, 2023: https://sonjakrause-malerei.de

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