Wie bleibt Journalismus unabhängig?

Das neue digitale Wettbewerbsumfeld und ein steigender Kostendruck stellen den Journalismus vor historische Herausforderungen. Kreative Formen der Monetarisierung sollen diese lösen. Doch wie kann der Journalismus seine Unabhängigkeit und seinen Wert für die Demokratie dauerhaft bewahren?

Wir alle kennen es – gerade der Artikel, der uns auf einer digitalen News- und Nachrichtenseite am meisten interessiert, ist hinter einer Bezahlschranke versteckt. Mit Glück ist der erste Teil des Artikels zu lesen, um wenigstens einen kurzen Einblick zu erhaschen. Meistens führt das aber dann, im Sinne des Erfinders, dazu, dass wir nun erst recht neugierig sind. Wir geraten ins Überlegen, diesen Artikel zu kaufen oder einfach gleich ein weiteres Online-Abo abzuschließen.

Doch warum überhaupt auf einmal Geld für Artikel und digitalen Content bezahlen? Zu Beginn des Online-Journalismus waren doch auch alle Artikel frei verfügbar und viele Nachrichtenseiten bieten auch aktuell noch kostenlosen Content an – wieso also nicht einfach diese Artikel lesen? Wie immer, ist die Lösung nicht so einfach und die neue Gesamtsituation differenziert zu betrachten. 

Hinter qualitativ hochwertigem Journalismus steckt großer Aufwand und damit kostenintensive Arbeitsabläufe. Der Anspruch, dass das Endergebnis kostenlos zur Verfügung stehen soll, hat sich erst im digitalen Zeitalter entwickelt und bringt große Herausforderungen mit sich. Es stellt sich die Frage: Wie soll Journalismus weiterhin unabhängig und hochwertig informieren, wenn die eigenen Kosten nicht mehr dauerhaft gedeckt werden können?

Eine einfache, aber weitreichende Frage, da journalistische Tätigkeit aufgrund ihrer tragenden Bedeutung für die Demokratie mit keinem anderen Wirtschaftszweig zu vergleichen ist. Viele Finanzierungs- und Monetarisierungsmodelle sind wegen ethischer Gründe schwierig umsetzbar und eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit sowie die Umsetzung der normativen Funktionen des Journalismus. Wie dieser dennoch langfristig bestehen kann und wie wichtig eine unabhängige Berichterstattung für die Demokratie ist, davon handelt dieser Beitrag.

Journalismus und Demokratie

Beginnen wir ganz grundlegend: Warum ist Journalismus grundsätzlich und ein einfacher Zugang zu diesem im Konkreten überhaupt so wichtig? Nähert man sich dem Thema demokratie- und journalismus-theoretisch an, so kommt man schnell zu dem entscheidenden Punkt: Freier und guter Journalismus ist elementar für das Funktionieren einer Demokratie. Seine Funktion als vierte Gewalt des Staates, Sprachrohr der Bürger und Institution zur Sozialisation, Bildung sowie zur Herstellung von Öffentlichkeit, führen zu einer Unverzichtbarkeit des Journalismus als zentrale Stütze einer demokratischen Gesellschaft.

Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann sieht durch den Journalismus gar ein „soziales Gedächtnis“ entstehen und führt aus: „Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, ist durch die Massenmedien vermittelt“1.Auch der britische Soziologe Anthony Giddens sieht in den Medien ein Zugangsmittel zu einem „Wissen, von dem viele gesellschaftliche Aktivitäten abhängen“ und spricht ihnen einen „weitreichenden Einfluss auf unsere Erfahrungen [der Menschen] und auf die öffentliche Meinung“ zu2. Um diese Öffentliche Meinung zu bilden und persönlichen Willens-, Meinungs- und Charakterbildung der Individuen in einer Demokratie beizutragen, soll der Journalismus folgende, zentrale Funktionen erfüllen3:

Medien thematisieren die Vorschläge und Entscheidungen der politischen Parteien und die Erwartungen der Bevölkerung. Sie stellen für diese Sachverhalte die nötige Öffentlichkeit her und sind so wichtige Vermittler zwischen den Akteuren einer Gesellschaft. Dies ist für die demokratische und gesellschaftliche Willensbildung sowie die Meinungsbildung der Bürger essenziell.

Medien fungieren als das Sprachrohr der Bevölkerung. Sie tragen Belange, Forderungen sowie Fragen der Bevölkerung an die Politiker und Entscheider heran und geben auch diesen Belangen die nötige Öffentlichkeit.

Medien tragen zur Integration unterschiedlicher Positionen in einer Gesellschaft bei und fördern die politische und gesellschaftliche Bildung. Sie sollen dabei helfen, Menschen zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft zu formen.

Medien haben zwar kein eigenes Recht zur Kontrolle der Regierung, übernehmen dies aber stellvertretend für die Bevölkerung, die das aufgrund von fehlenden Zeit- und Wissensressourcen nicht eigenständig umsetzen kann.

Aufgrund dieser umfassenden Funktionen und der Macht, die von der Kontrolle dieser ausgeht, wurden und werden journalistische sowie soziale Medien in der Geschichte der Menschheit für die Durchsetzung eigener Interessen missbraucht. Die Zeit des Nationalsozialismus zeigt dies eindrucksvoll. Zensur und Gleichschaltung, das Verbot oppositioneller Redaktionen und das Einsperren kritischer Journalist:innen beherrschte den Alltag. Muster, die man auch heute noch in autokratischen Staaten beobachten kann. In Russland, China, der Türkei, dem Iran und einigen anderen Ländern sitzen viele Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis und werden so an der Ausübung ihres Berufs gehindert4. Zudem werden mit gezielten Fehlinformationen und mächtigen (staatlichen) Orchestrierungen versucht, Wahlen und Meinungsbildungsprozesse weltweit zu beeinflussen5. Neben politischen Akteuren können auch finanzstarke Player Einfluss auf die Medien nehmen. Das aktuellste Beispiel ist hier wohl die geplante Twitter-Übernahme von Tesla-Milliardär Elon Musk.

Wie frei und unabhängig der Journalismus seinen Aufgaben nachgehen kann ist daher ein zentraler und relevanter Indikator für den Zustand einer Demokratie. Daher wird zum Beispiel die Dimension der Pressefreiheit jedes Jahr von „Reporter ohne Grenzen“ aufwändig gemessen und eine Rangliste über den Zustand und die Freiheit der Presse ermittelt6

Deutschland steht in dieser Rangliste auf Platz 16 von 180 bewerteten Länder mit einer „zufriedenstellenden Lage“. Führend sind auf diesem Gebiet vor allem die skandinavischen Länder. Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland belegen vier der ersten 5 Plätze. Die Schlusslichter der Rangliste bilden Nordkorea, Eritrea und der Iran. 

Weltkarte der Pressefreiheit 2022

Freie Medien: Ein Grundrecht

Aufgrund seiner Charakteristik nimmt der Journalismus in demokratischen Gesellschaften also eine Sonderrolle ein. Er fungiert an der Schnittstelle zwischen den Bürger:innen, der Politik sowie allen weiteren öffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren als Vermittler und Überbringer der Standpunkte in einem Dreieck der gesellschaftlichen Kommunikation. Um diese Besonderheit vor Missbrauch zu schützen und Zensur zu vermeiden, ist die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Aufgaben des Journalismus: Von Agenda-Setting bis Gatekeeping

Um die Erfüllung seiner Aufgaben zu gewährleisten gibt es im Journalismus hohe moralische und handwerkliche Ansprüche sowie klare Arbeitsabläufe, die eine hohe Medienqualität sichern sollen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die journalistische Funktion des Gatekeepings7. Dieser Begriff beschreibt den Prozess der Nachrichtenauswahl, der einen zentralen und immens bedeutenden Teilschritt journalistischer Arbeit darstellt. Hier wird die Entscheidung getroffen, welche Meldungen und Geschehnisse des Tages als relevant angesehen werden, dass sie Teil der Berichterstattung werden. Es wird entschieden, für welches Ereignis und welche Meinung Öffentlichkeit hergestellt wird.

Entscheidend für die endgültige Nachrichtenauswahl sind schließlich nicht etwa Willkür oder die Vorlieben der jeweiligen Redaktion, vielmehr folgen sie klaren, normativen Mustern: Den Nachrichtenfaktoren. Nachrichtenfaktoren sind unter anderem Neuigkeit, Nähe, Tragweite, Prominenz, Dramatik und Kuriosität8 sowie Frequenz, Eindeutigkeit und Kontinuität9. Bei der Anwendung dieser Faktoren und der Erfüllung seiner demokratischen Aufgaben folgt das journalistische Arbeiten einer strengen Berufsethik, die in Deutschland unter anderem vom Deutschen Presserat überprüft wird. Seine Rügen sind transparent einsehbar und so kann sich jeder ein Bild über die Qualität der jeweiligen Zeitungen und Magazine machen.

Qualität und Unabhängigkeit 

Auch weitere Qualitätsmerkmale von gutem Journalismus wurden medienwissenschaftlich erarbeitet und vom deutschen Presserat formuliert. So soll die Berichterstattung nach Schatz und Schulz10 von Vielfalt, Relevanz, Professionalität, Akzeptanz und Rechtmäßigkeit geprägt sein. Andere theoretische Ansätze definieren diese noch über Aktualität, Originalität, Objektivität, Transparenz, eine Komplexitätsreduktion großer Sachverhalte11 sowie eine Überparteilichkeit und Faktizität12 der Redaktionen.

Aus diesen Elementen ergeben sich Anforderungen an den Journalismus sowie an die Journalistinnen und Journalisten selbst. Agenda-Setting durch professionelles Gatekeeping bringt große Verantwortung mit sich. Immerhin wird durch diese die Medienrealität gebildet, die für viele Menschen die Grundlage der wahrgenommen Realität und des eigenen Weltbilds bildet13. Daher formulierten Bill Kovach und Tom Rosenstiel mit den „Elements of Journalism“14 die Berufsethik von Journalist:innen und hielten unter anderem fest: „Der Journalismus ist in erster Linie der Wahrheit verpflichtet“, „Seine erste Loyalität gehört den Bürgern“ und: 

„Journalisten müssen unabhängig von denen sein, über die sie berichten“

Bill Kovach & Tom Rosenstiel: „Elements of Journalism“

Damit ist der Bogen gespannt zu einer Qualitätsdimension, die aktuell besonders auf die Probe gestellt wird: Eine unabhängige sowie transparente Finanzierung und Monetarisierung von Journalismus sowie die Trennung von Werbung und Inhalt. Diese Maxime gilt als besonders wichtig, da „die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet“, dass „besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material“ geboten wird15. Nach Ziffer 7 des Deutschen Pressekodex gilt dies für Nebenverdienste und Nebenberufsfelder von Journalist:innen genauso, wie für die Platzierung von Werbung und den Einfluss von Eigentümern auf das journalistische Endprodukt.

„Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung erfolgen.“

Deutscher Presserat, Pressekodex (Ziffer 7)

Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Richtlinie 7.1 – Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen
Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung erfolgen. Im Übrigen gelten die werberechtlichen Regelungen.

Richtlinie 7.2 – Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird.

Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.

Richtlinie 7.3 – Sonderveröffentlichungen
Redaktionelle Sonderveröffentlichungen unterliegen der gleichen redaktionellen Verantwortung wie alle redaktionellen Veröffentlichungen.
Werbliche Sonderveröffentlichungen müssen die Anforderungen der Richtlinie 7.1 beachten.

Richtlinie 7.4 – Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung
Journalisten und Verleger, die Informationen im Rahmen ihrer Berufsausübung recherchieren oder erhalten, nutzen diese Informationen vor ihrer Veröffentlichung ausschließlich für publizistische Zwecke und nicht zum eigenen persönlichen Vorteil oder zum persönlichen Vorteil anderer.

Journalisten und Verleger dürfen keine Berichte über Finanzinstrumente und/oder deren Emittenten in der Absicht veröffentlichen, durch die Kursentwicklung des entsprechenden Finanzinstrumente sich, ihre Familienmitglieder oder andere nahestehende Personen zu bereichern. Sie sollen weder direkt noch durch Bevollmächtigte Finanzinstrumente kaufen bzw. verkaufen, über die sie zumindest in den vorigen Wochen etwas veröffentlicht haben oder in den nächsten zwei Wochen eine Veröffentlichung planen.

Um die Einhaltung dieser Regelungen sicherzustellen, treffen Journalisten und Verleger die erforderlichen Maßnahmen. Interessenkonflikte bei der Erstellung oder Weitergabe von Anlageempfehlungen oder Anlagestrategieempfehlungen sind in geeigneter Weise offenzulegen.

Zwischenfazit: Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Bricht man diese Ausführungen zu den Aufgaben und Ansprüchen des Journalismus herunter, bleibt ein Dilemma: Guter, professioneller Journalismus ist aufwendig und kostet Geld. Das Gehalt von gut ausgebildeten Journalist:innen und Redaktionen, Investitionen in gute Ausrüstungen, Reisen oder Projekte für investigativen Journalismus sowie Kosten für den Druck, die Ausstrahlung in Radio und TV oder neue, digitale Publikationswege. 

Gleichzeitig kann man aus den ideologischen Zielen des Journalismus auch zu der Forderung kommen, dass guter Journalismus frei zugänglich sein sollte, da er nur so seine Aufgaben für eine Demokratie und all die darin lebenden Menschen umfassend erfüllen kann. Denn: Die Kopplung von hochwertigem Journalismus an Bezahlung stellt eine soziale Schließung dar, die finanziell schwächer gestellten Gruppen der Bevölkerung den Zugang zu Information, zur individuellen Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen sowie zur eigenen Welt- und Meinungsbildung verwehrt.

Die Kosten für guten Journalismus müssen also gedeckt werden – Im Idealfall ohne, dass der Nutzer dafür belangt wird und ohne, dass Geldgeber zu großen Einfluss über das jeweilige Medium erhalten. Ein Idealbild, dass in der Realität  schwierig umzusetzen ist, da eine vollkommene Unabhängigkeit in erster Linie finanzielle Unabhängigkeit voraussetzt. So gilt es die Lösung des geringsten Übels beziehungsweise eine Balance zwischen den verschiedenen Parametern zu finden. 

Neue, digitale Welt

Die digitale Transformation hat dabei noch einmal große Bewegung in die Thematik gebracht und das Spielfeld für Verlage, Publizistinnen und Journalisten enorm verändert: Mit dem Web 2.0 ist ein neuer sozialer Raum zum Informations- und Meinungsaustausch entstanden, in dem jeder die Möglichkeit zur Herstellung von Öffentlichkeit hat. Die Schwelle zur Publikation ist so gering wie nie zuvor und viele (pseudo-) journalistische Angebote entstehen. Zudem fungieren Social-Media-Plattformen als Aggregatoren und Intermediäre, die den Austausch und die Verbreitung von Information vereinfachen. So steigt die Anzahl der medialen Akteure enorm und damit gleichbedeutend der Druck auf den Wettbewerb. 

Während die Auflagen von Tageszeitungen kontinuierlich zurückgehen16, nimmt die Bedeutung der digitalen Angebote zu. Für etablierte Medienhäuser bedeutet dies vor allem Mehrarbeit, da auch die digitalen Angebote erstellt werden müssen. Auch gilt es, die beschriebenen Arbeitsabläufe und Qualitätsansprüche in das digitale Umfeld zu übertragen und weiterhin die Elemente des Journalismus nach Kovach und Rosenstiel als moralische und ethische Leitlinien für guten Journalismus zu verstehen. Außerdem müssen die bisher durch Abos oder haptische Zeitungskäufe bezahlte Dienstleistung im digitalen Raum neu etabliert werden. Ziel sollte sein, ein Modell der Monetarisierung zu finden, welches den großen Organisationsapparat der Redaktionen und Medienhäuser auch weiterhin finanziell trägt. 

Formen der Monetarisierung: Abos, Anzeigen und Native Advertising

Um diesen neuen finanziellen Druck des digitalen Umfelds standzuhalten, haben Verlage und andere journalistische Anbieter kreative Wege der Monetarisierung entwickelt. Klassische Abonnement- und Mitgliedschaftsmodelle sowie Premium-Bezahlschranken bitten dabei die Nutzer:innen zur Kasse. Damit sorgen sie so für die beschriebene soziale Schließung und ungleiche Chancen in der Informationsbeschaffung. 

Eine weitere recht klassische Monetarisierungsform sind Anzeigen in Form von Bannern, Google Ads oder bezahlten Links. Auch diese gab es in ähnlicher Form bereits im analogen Medienzeitalter. Mit diesen Modellen werden Redaktionen und Journalist:innen von Geldgebern aus der Wirtschaft finanziert, die im Gegenzug Werbung schalten oder eigene Inhalte platzieren. Für die Trennung von Werbung und Inhalt tritt hier die Kennzeichnungspflicht des Deutschen Presserats in Kraft.  

Diese wird jedoch von unterschiedlichen Anbietern kreativ ausgelegt. So haben sich Native Ads und Paid Content als beliebte Werbemittel etabliert. Als Native Advertising werden bezahlte Werbeformate bezeichnet, die nur sehr diskret als Anzeige gekennzeichnet sind und sich sowohl optisch, als auch inhaltlich an das Umfeld der Werbung anpassen. So sind sie für den Nutzer nur sehr schwer von journalistischen Inhalten zu trennen.

Native Advertsing am Beispiel von www.merkurist.de (06.07.2022)

Native Advertising ist so beliebt, da es das Vertrauen in den Journalismus und dessen Autorität nutzt, um sein Produkt zu bewerben. Fällt den Menschen zunächst die Kennzeichnung als Artikel nicht auf, gehen sie davon aus, dass es sich zum zuverlässigen und unabhängigen Journalismus handelt. Der Anzeigepflicht wird dabei nicht im ethischen Sinne des Presserats nachgegangen. Dieser nimmt dazu Stellung und empfiehlt “redaktionell gestaltete Werbung wie z.B. Verlagsbeilagen deutlich als „Anzeige“ zu kennzeichnen und diese für den Leser erkennbar vom redaktionellen Teil abzugrenzen. Bezeichnungen wie „Advertorial“, „Sponsored Post“ oder „Verlags-Sonderveröffentlichung“ reichen nicht aus und stellen kein presseethisch anerkanntes Synonym für Werbung dar.”

Studien haben zudem ergeben, dass das Wissen über Native Advertising den Verbraucher:innen half, die bezahlten Artikel als Werbung zu erkennen. Dies führte zu einer geringeren Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit des Artikels17. Jedoch zeigt eine weitere Studie, dass nur  sehr wenige Teilnehmer:innen den Artikel als Werbung erkannten (8%)18. Das Wachstum von Native Advertising sei also nicht darauf zurückzuführen, dass die Kund:innen diese attraktiv finden, sondern weil viele von ihnen sie nicht hinreichend als solche wahrnehmen19.

Native Advertsing am Beispiel der Thüringer Allgemeine

Fazit: Wie bleibt Journalismus unabhängig?

Mit den dargestellten Ansprüchen und Monetarisierungsformen befindet sich der Journalismus in einem Dilemma. Das Einhalten hoher ethischer Standards  und die Umsetzung professioneller interner journalistischer Abläufe sind zeit- und arbeitsintensiv. Gleichzeitig können sie aufgrund ihrer Bedeutung für die Demokratie auch wenig schlanker gehandhabt werden. Aus genau diesem Grund haben journalistische Akteure, Medienhäuser und Redaktionen einen großen Bedarf an finanziellen Mitteln. Die Anpassung an kapitalistische Mustern ist somit fast schon vorgegeben.

In dem Versuch, diesen  Kostenbedarf zu decken, der vor allem durch den digitalen Wandel vergrößert wird, scheint es die Wahl zu geben, den Leser:innen – wie im analogen Print-Zeitalter auch – Geld für journalistische Dienstleistungen zu berechnen oder Partnerschaften mit finanzstarken und meist wirtschaftsnahen Akteuren einzugehen. 

Die erstgenannte Option birgt das Risiko die beschriebene Ungleichheit in der Informationsbeschaffung zu verstärken. Zudem werden Bezahlschranken gerne umgangen und alternativ auf unprofessionelle, kostenlose Alternativen zurückgegriffen. Das wiederum birgt das Risiko, zur Verbreitung von Falsch- und Fehlinformationen in der Bevölkerung beizutragen. Andererseits erhalten sich Medienhäuser ihre weitestgehende Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Geldgebern oder anderen finanziellen Interessen. Zusätzlich werden Leser:innen nicht durch zweifelhafte Werbeangebote getäuscht und und eine klare Trennung von Werbung in Inhalt kann gewahrt werden.

Die Optionen, Anteile, Anzeigen und Inhalte zu verkaufen, um die journalistische Arbeit zu finanzieren, zeigen eben diese Schwäche. Eine Trennung von Inhalt und Werbung kann in verschiedensten Ausprägungen nicht mehr gewährleistet werden. Die Folge: Eine Verschiebung der Macht und ein schleichender Übergang der vierten Gewalt an finanzstarke Akteure und Wirtschaftsunternehmen. 

Die Versuchung fragwürdige Werbemethoden zu wählen, wird mit viel Geld schmackhaft gemacht. Geld, dass die Medienhäuser dringend brauchen. Für viele kleine Redaktionen bedeutet eine Abhängigkeit von Werbe- und Sponsoringmaßnahmen große Herausforderungen. Im Zweifel leidet die Qualität sowie die Professionalität des Angebots und die Vielfalt auf der journalistischen Landkarte. Dagegen steht bei diesem Modell, dass ein kostenloser Zugang sehr inklusiv keine finanziellen Hürden für den Konsum journalistischer Angebote darstellt.

Es bleibt also kompliziert. Und selbstverständlich gibt es zwischen diesen polarisiert dargestellten Endpunkten ein Continuum voller Abstufungen. Was bleibt, ist das Dilemma, in dem beide Lösungen stecken. 

Positives Beispiel: Die TAZ

Zwei Lösungen sind jedoch in Sicht. Eine davon wählt die TAZ, die auf Spendenbasis Unterstützer:innen sucht und dafür gänzlich auf Native Ads und Bezahlschranken verzichtet. Dort kommuniziert man: “Hinter jedem Klick auf taz.de steckt journalistischer und technischer Aufwand. Die taz will diesen nicht mit Bezahlschranken finanzieren, sondern mit der freiwilligen Unterstützung ihrer Leser:innen”  und ist der Überzeugung, “dass es kritische Informationen im Netz geben muss, die frei zugänglich und nicht kostenpflichtig sind.” Mit diesem Ansatz ist die TAZ in Deutschland unter den großen Tageszeitungen einmalig unterwegs und wohl am nächsten an den ideologischen Ansprüchen des Journalismus. 

Die zweite Lösung für das Problem ist der gesellschaftliche Fortschritt und eine wachsende Zahlungsbereitschaft der Menschen: So zeigen Untersuchungen den Zuwachs von 25 % an Nutzer:innen, die seit Beginn der Corona-Pandemie für hochwertige digitale Inhalte Geld bezahlen. In der jungen  Altersklasse der 25- bis 34-Jährigen sind es sogar 47 Prozent mehr Menschen18.  Eine aktuelle Befragung zeigt zudem, dass 83 Prozent der 18- bis 69-Jährigen und 90% der unter 30-Jähriegen bereit sind, für „professionell recherchierte“ Inhalte Geld zu bezahlen19. Der Grund scheint das wachsende Verständnis zu sein, dass journalistische Arbeitsweisen, aber auch künstlerische und kulturelle Angebote einen gewissen Preis haben müssen.

Diese beiden Ansätze zeigen: Es gibt Wege, Journalismus unabhängig und nachhaltig zu monetarisieren. Das Modell der TAZ sowie die steigende Bereitschaft und das Verständnis, Geld für journalistische Dienstleistungen zu bezahlen, macht Hoffnung. Durch Modelle der Freiwilligkeit und eine steigende Zahlungsbereitschaft können sowohl die Probleme der informativen Schließung, als auch die der unabhängigen Berichterstattung gelöst werden. Mut Macht zudem, dass dies eine gesellschaftliche Lösung darstellt, die in einer fortschreitenden Kultivierung der Gesellschaft begründet liegt – Die demokratische Gesellschaft erkennt den Wert des Journalismus, sorgt im Kollektiv für seine Erhaltung und stärkt so das eigene politische System. Ganz im Sinne des deutschen Presserats und der Elemente des Journalismus nach Bill Kovach und Tom Rosenstiel.

© Sokra 2022, https://sonjakrause-malerei.de/

1 Luhmann, N. (1995). Die Realität der Massenmedien. In: Die Realität der Massen-medien (pp. 5-73). VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

2 Giddens, A., Fleck, C., & Zilian, H. G. (1999). Soziologie. 2. überarb. Aufl. Graz, Wien.

3 Maletzke, G. (1963): Psychologie der Massenkommunikation. In: Ders.: Kommunikationswissenschaft im Überblick: Grundlagen, Probleme, Perspektiven. West-deutscher Verlag, Opladen.

4 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153606/umfrage/inhaftierte-journalisten-weltweit/ (Abrufdatum: 08.07.2022)

5 https://www.medienanstalt-nrw.de/presse/pressemitteilungen/2022/zunehmende-sorge-vor-wahlmanipulation.html (Abrufdatum: 08.07.2022)

6 https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2022&sa=D&source=docs&ust=1657116356141266&usg=AOvVaw1_Z2jtuCGKVxDwkpvJFQjH (Abrufdatum: 08.07.2022)

7 White, D. M. (1950). The “gate keeper”: A case study in the selection of news. Journalism quarterly, 27(4), 383-390.

8 Warren, C. (1944). Modern News Reporting: By Carl Warren. Published for the United States Armed Forces Institute. Harper & Bros..

9 Galtung, J., & Ruge, M. H. (1965). The structure of foreign news: The presentation of the Congo, Cuba and Cyprus crises in four Norwegian newspapers. Journal of peace research, 2(1), 64-90.

10 Schatz, H., & Schulz, W. (1992). Qualität von Fernsehprogrammen. Kriterien und Methoden zur Beurteilung von Programmqualität im dualen Fernsehsystem. Media Perspektiven, 11(1992), 690-712.

11 https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/190411/magisches-vieleck-der-medienqualitaet/ (Abrufdatum: 08.07.2022)

12 Westerståhl, J. (1983). Objective news reporting: General premises. Communication research, 10(3), 403-424.

13 McCombs, M. E., & Shaw, D. L. (1972). The agenda-setting function of mass media. Public opinion quarterly, 36(2), 176-187.

14 Kovach, B., & Rosenstiel, T. (2021). The Elements of Journalism, Revised and Updated 4th Edition: What Newspeople Should Know and the Public Should Expect. Crown Publishing Group (NY).

15 https://www.presserat.de/pressekodex.html (Abrufdatum: 08.07.2022)

16 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72084/umfrage/verkaufte-auflage-von-tageszeitungen-in-deutschland/&sa=D&source=docs&ust=1657184668752132&usg=AOvVaw2xSr5NoUeSzz1Y9UJ_B5lg (Abrufdatum: 08.07.2022)

15 Wojdynski, B. W., & Golan, G. J. (2016). Native advertising and the future of mass communication. American Behavioral Scientist, 60(12), 1403-1407.

16 Wojdynski, B. W., & Evans, N. J. (2016). Going native: Effects of disclosure position and language on the recognition and evaluation of online native advertising. Journal of Advertising, 45(2), 157-168.

17 Carlson, M. (2015). When news sites go native: Redefining the advertising–editorial divide in response to native advertising. Journalism16(7), 849-865.

18 https://mediennetzwerk-bayern.de/netzwerkwissen-paid-content-monetarisierung-medieninhalte/#top (Abrufdatum: 08.07.2022)

19  https://score-media.de/gattungsforschungen/zeitung-hat-zukunft/ Abrufdatum: 08.07.2022)

In eigener Sache: Finanzierung von ana

Wie der Artikel zeigt, ist die Finanzierung von Journalismus ein schwieriges Thema. In der Entstehung vom ana magazin haben auch wir uns Gedanken darüber gemacht, ob und wie wir die Finanzierung unserer journalistischen Spielwiese stemmen wollen. Am Ende stand die Entscheidung,  aus moralischen und ethischen Gründen kostenlos zugänglichen Journalismus anbieten und unabhängig von Geldgebern sein zu wollen. Wir sehen die Trennung von Werbung und Journalismus als sehr wichtige Grundlage an. Deshalb gibt es beim ana magazin keine Werbung. Aber eines steht leider auch fest: Um dauerhaft Bezahlschranken und Werbung vermeiden zu können, sind wir auf die freiwillige finanzielle Unterstützung unserer Leser:innen angewiesen. Wofür wir finanzielle Unterstützung benötigen und wo euer Geld landet, zeigen wir euch hier.

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Vielen Dank!

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  1. Die Problematik ist mir grundsätzlich bekannt, allerdings habe ich mich nie näher damit befasst.
    Tauchte eine Bezahlschranke auf, habe ich ab und an bezahlt, jedoch meistens darauf verzichtet, den Artikel zu lesen.
    Die ana-Umfrage hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, ob und ggf. welchen Betrag ich bereit bin, für qualitativ hochwertigen Journalismus zu bezahlen.
    Es bleibt zu hoffen, dass sich das Modell der TAZ durchsetzt und Journalismus weiterhin unabhängig bleibt. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten.
    Zur Finanzierung von ana:
    Ich mag ana und freue mich über jeden neuen Artikel. Diese bringen mich dazu, mich mit verschiedenen Themen intensiver zu befassen und auseinander zu setzen. Oft habe ich mir in der Vergangenheit einfach nicht die Zeit dafür genommen.
    Macht weiter so – ich unterstütze euch gerne 🙂

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