Das Ende einer Hochzeit?

– oder auch: Luisa Neubauer und die Frage nach Verzicht

Der Klimawandel ist auf dem Vormarsch – die Corona-Pandemie, die Flutkatastrophe im Ahrtal sowie zahllose, verheerende Waldbrände in den letzten Jahren sind seine apokalyptischen Vorboten. Immer mehr Menschen nehmen diese Umweltkatastrophen wahr und glauben den Erkenntnissen der Wissenschaft. Über 75% der Deutschen sehen einen menschgemachten Klimawandel und 65% bewerten ihn als sehr wichtiges politisches Thema – 80% empfinden ihn gar als persönliche Bedrohung1.

Soweit so gut – was jedoch noch nicht so tief in die Köpfe der Menschen vorgedrungen zu sein scheint: Das Stoppen des Klimawandels ist eine Aufgabe des Kollektivs – von uns allen. Das bedeutet in erster Linie die Bereitschaft zu Veränderung und die Erkenntnis, dass unser Lebensstil der letzten 50-100 Jahre der Grund ist, warum wir im Jahr 2022 über die Rettung der Erde diskutieren müssen. Wir nehmen der Erde seit Jahren mehr als sie uns bieten kann und so wird der Earth Overshoot Day dieses Jahr bereits der 28. Juli sein. An diesem Tag wird die Weltbevölkerung alle ökologischen Ressourcen aufgebraucht haben, die die Erde in diesem Jahr erzeugen kann2

Entwicklung des Earth Overshoot Day seit 1971

Um das greifbare Bild des Geldes zu bemühen: Ab dem 28.7. ist unser Konto leer und alles Geld für das Jahr aufgebraucht. Wir müssen uns Geld leihen – von unserer Zukunft. Wir nehmen also Kredite für uns auf, die unsere Kinder und Enkel bezahlen müssen. Die Grafik zeigt, dass es uns nichts ausmacht, auf Kosten folgender Generationen zu leben. Im Gegenteil: Jedes Jahr werden wir verschwenderischer und erreichen den Earth Overshoot Day früher. Und das trotz jahrelanger Anstrengung von Klimaaktivist:innen und Wissenschaftler:innen, die versuchen die Industrienationen und deren Bevölkerungen zu nachhaltigerem Leben, im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen, zu bewegen.

Das ist nicht fair – entschied übrigens auch schon das Bundesverfassungsgericht, als es 2021 das Pariser Klimaabkommen mit seinem 1,5-Grad-Ziel als verfassungsrechtlich verbindlich einstufte und Klimaschutz zu einem Thema der Generationengerechtigkeit machte. Es begründete die Entscheidung damit, dass einer Generation nicht zugestanden werden dürfe, “unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde”3.

 
 
 
 
 
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Da steht es also, schwarz auf weiß – vom höchsten deutschen Gericht bestätigt: Wir müssen mehr für das Klima tun. Auch wenn das für uns im einzelnen Verzicht bedeutet. Doch auch abseits des Klimawandels wartet auf uns Verzicht – die friedlichen Jahre, in denen die Wirtschaft ohne geographische und moralische Grenzen florierte, sind vorbei. Rohstoffe und Lebensmittel werden wohl mindestens mittelfristig nicht mehr so günstig zu erwerben sein, wie wir es aus den letzten Jahren gewohnt sind. Dafür sorgen der Krieg in der Ukraine und globale, politische Spannungen, die nicht mit dessen Ende überwunden werden können.

Das ist nicht schön, aber eine Realität, der wir ins Auge schauen müssen. Und: Verzicht ist nichts neues, sondern nach Luisa Neubauer “das normalste der Welt”. So verwies sie bei Markus Lanz darauf, dass bereits “Kinder, wenn sie  Taschengeld bekommen“ lernen, nur das auszugeben, was sie haben und führte aus, dass auch wir bereits in jeder Lebenslage verzichten4. Denn: Nicht-Verzichten ist Luxus. Einen Luxus, den schon die Nachkriegsgenerationen nicht hatten – Saus, Braus und ein verschwenderischer Lebensstil können wohl nicht als normal angesehen werden, sondern vielmehr als eine kapitalistische Hochzeit des 20. Jahrhunderts. Und jede Hochzeit der Geschichte fand irgendwann ihr Ende.

© Sokra 2022, https://sonjakrause-malerei.de/

1 https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltbewusstsein-in-deutschland

2 https://www.overshootday.org/

3 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html#:~:text=Das%20verfassungsrechtliche%20Klimaschutzziel%20des%20Art,dem%20vorindustriellen%20Niveau%20zu%20begrenzen.

4 https://www.zdf.de/nachrichten/video/politik-neubauer-lanz-ukraine-100.html

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