Das 9-Euro-Ticket

– oder auch: Die Frage nach der Zukunft des Nahverkehrs

Seit dem 1.6.2022 kann in Deutschland das 9-Euro-Ticket genutzt werden. Dieses wurde von der Bundesregierung geschaffen, um Pendler zu entlasten und um auf die steigenden Energiepreise durch den Ukraine-Krieg zu reagieren. Die Nachfrage ist groß: Bereits im Vorfeld des 1.6. wurden über 7 Millionen Sondertickets verkauft1 – alle Studententickets, die automatisch als eben dieses gültig sind, nicht eingerechnet.

Der Ansturm zeigte sich direkt am Pfingstwochenende enorm. Bilder von überfüllten Zügen und Bahnsteigen gingen durch die Presse. Ralf Damde von der Deutschen Bahn berichtete von täglich 700 Meldungen von Überlastungen oder Störungen sowie etwa 400 Zügen mit zu hoher Auslastung an jedem Tag des Wochenendes2. Manche Züge mussten sogar wegen Überfüllung von der Polizei geräumt werden. Betroffen war vor allem der Norden Deutschlands sowie die Sächsische Schweiz.

Die Bahn scheint mit dem neuen Ansturm überfordert. Kein Wunder – ist die Bahn, trotz politischem und gesellschaftlichem Willen zur Mobilitätswende, mit immer steigenden Preisen3 für viele uninteressant geworden und dadurch selten mit einer vergleichbaren Auslastung wie am Pfingstwochenende konfrontiert. Durch die Corona-Pandemie war die Zahl der Fahrgäste gar auf einen neuen Tiefstand gefallen4.

Darstellung der Fahrpreisentwicklung seit 1950. Quelle: Pro Bahn

Reisen als Privileg

Reisen, nicht nur mit der Bahn, ist in den letzten Jahren und besonders in Zeiten von Krisen und einer steigender Inflation, ein Privileg der Mittel- und Oberschicht geworden. Das 9-Euro-Ticket scheint eine Chance zu sein, diese soziale Ungleichheit zu überwinden und zeitgleich der Tourismusbranche neuen Schwung zu verleihen. Es bietet endlich wieder erschwinglichen Nahverkehr und wird offensichtlich von Menschen jeder sozialen Schicht genutzt, um Reisen zu unternehmen, die ihnen bisher verwehrt geblieben sind.

Grund genug, laut über einen dauerhaft günstigen Nahverkehr und eine Zeitenwende in der Mobilität nachzudenken. Ideen wie das 365€-Ticket für Städte oder langfristig günstige, deutschlandweite Verkehrsangebote sollten wieder ernsthafter diskutiert und nicht, wie zuletzt in Nürnberg5, abgelehnt werden. Denn: Für eine klimafreundliche und sozial gerechten Zukunft braucht es günstigen, verlässlichen und flächendeckenden Nahverkehr. Viel zu tun also für die Politik und die Deutsche Bahn.

Sokra 2022, https://sonjakrause-malerei.de/

1 ADAC vom 02.06.2022. Abrufbar unter: https://www.adac.de/news/9-euro-ticket/
2 ZDF vom 07.06.2022. Abrufbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bahn-9-euro-ticket-kritik-100.html
3 Pro Bahn vom 10.04.2020, Abrufbar unter: https://www.pro-bahn.de/fakten/fahrpreise.htm
4 Statistisches Bundesamt vom 07.04.2022. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Transport-Verkehr/Personenverkehr/_inhalt.html
5 BR24, „Landtag: Nürnberg kein Modellprojekt für 365-Euro-Ticket“ vom 10.05.2022. Abrufbar unter: https://www.br.de/nachrichten/bayern/landtag-nuernberg-kein-modellprojekt-fuer-365-euro-ticket,T5Ru1Ki

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2 comments
  1. Positiv ist natürlich, dass Pendler zumindest für einen vorübergehenden Zeitraum entlastet werden und Reisen für Menschen jeder sozialen Schicht durch das 9 €-Ticket möglich sind. Schön ist auch, dass bisher viele Menschen dieses Angebot nutzen, die Erwartungen aktuell übertroffen werden. Ich glaube jedoch nicht, dass der ÖPNV dauerhaft von dem 9 €-Ticket profitiert. Dazu wäre tatsächlich ein unbefristet günstiger, gut ausgebauter und zuverlässiger Nahverkehr erforderlich. Zur Zeitenwende gehört für mich auch, dass Flüge nicht mehr zu Schleuderpreisen angeboten werden und über Kreuzfahrtreisen grundsätzlich nachgedacht wird. Es ist tatsächlich viel zu tun. Wichtig ist, dass durchdachte, dauerhafte Lösungen gefunden werden, Aktionismus vermieden wird und die wirtschaftliche Interessen und Gewinnmaximierung nicht wie so oft im Vordergrund stehen.

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