Eine andere Ursache für die Krise der Linkspartei

Seit Monaten pendelt die Linkspartei in Umfragen zwischen 4 und 5 Prozent. Die Ursachen sind vielfältig? Doch gerade ein Aspekt wird in den Analysen nur ungenügend betrachtet.

Linkspartei: Durch Umfragen und die Wahlrechtsreform bedroht

Aktuellen Umfragen von infratest-dimap zufolge liegt die Partei DIE LINKE gerade mal bei 5 %1. Und das ist keine Momentaufnahme: Stärker als die aktuellen 5 % schnitt die Linkspartei bei der Sonntagsfrage letztmals im September 2021 ab.2

 Quelle: https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/

Zusätzlich wird DIE LINKE in ihrem politischen Bestehen durch die aktuelle Wahlrechtsreform der Ampelkoalition bedroht: Mit der beschlossenen Abschaffung der Grundmandatsklausel auf Bundesebene droht nach der nächsten Wahl ein Bundestag ohne DIE LINKE. Denn im aktuellen Bundestag ist die Linkspartei nur vertreten, weil sie trotz Scheiterns an der 5-Prozent-Hürde drei Wahlkreise direkt gewinnen konnte3 (unsere Analyse der Wahlrechtsreform findet sich hier).

Die Ursachen sind vielfältig

Es wäre zu einfach, die Umfragewerte der Linkspartei und die dahinterstehenden Ursachen auf einen einzigen Punkt zu reduzieren. So werden als Ursachen oftmals die nicht haltbare Außenpolitik (teils mangelnde Distanzierung von Russland und Putin bzw. die Haltung zur NATO)4 oder das Verlieren ihrer Protestfunktion an die AfD genannt.5 Auch die von Streit und Uneinigkeit geprägte Außendarstellung, bedingt durch entgegengesetzte innerparteiliche Strömungen, dürfte nicht zu einem Zuwachs der Wählerschaft führen. Hinzu kommt das vor allem von Mitte rechts nach wie vor verbreitete Image, Nachfolgepartei der SED zu sein.6

Ein entscheidender Ansatz wird jedoch in der Analyse des Umfragetiefs der Linkspartei vernachlässigt. Auch, weil er empirisch nicht klar zu greifen ist. Dennoch liegt eines auf der Hand: Programmatik, Ansprache und Wählerschaft passen bei der Linkspartei nicht zusammen – wobei das Problem nicht zwangsläufig in den Inhalten zu suchen ist, wie folgende Überlegung zeigt.

Die Programmatik der sozialen Gerechtigkeit stimmt

So forderte DIE LINKE beispielsweise im Bundestagswahlkampf 2021 die Einführung eines Mindestlohns von 13 Euro, eine gebührenfreie öffentliche Kinderbetreuung, ein garantiertes und sanktionsfreies Mindesteinkommen in Höhe von 1.200 Euro sowie eine Gehaltserhöhung von 500 Euro für alle Pflegekräfte. Weiter finden sich im Wahlprogramm Forderungen wieder nach: dem Kohleausstieg, einem deutschlandweiten Mietendeckel, einer Kindergrundsicherung, und „Arbeitszeiten, die zum Leben passen“.7 Nun lässt sich darüber streiten, ob die Umsetzung dieser Forderungen finanzierbar und sinnvoll ist oder ob die vorgeschlagenen Maßnahmen die richtigen Stellschrauben adressieren. Doch unabhängig der eigenen politischen Couleur dürfte unbestritten sein, dass das Wahlprogramm 2021 sowie aktuelle Forderungen der Linkspartei die Fragen der sozialen Gerechtigkeit in den Vordergrund stellen. Damit bedient DIE LINKE Themen, die an eine potenzielle Wählerschaft gerichtet sind, die ohne Probleme Wahlergebnisse von mehr als 5 % ermöglichen sollte. 

Schließlich gibt es in Deutschland 2,5 Millionen Arbeitslose8 (hiervon 883.000 Langzeitarbeitslose9) und ca. 4 Millionen Niedriglohnverdiener:innen.10,11 Bevölkerungsgruppen, die ohne Zweifel von den Forderungen nach einem höheren Mindestlohn und einem sanktionsfreien Mindesteinkommen profitieren würden. Die Gehaltserhöhung von 500 Euro hätte zudem ein Anreiz für circa 1,7 Millionen Pflegekräfte12 sein können, DIE LINKE zu wählen. Zusätzlich fehlen bundesweit zwischen 266.000 und 384.000 Kitaplätze.13 Auch die hiervon betroffenen Familien dürften mit manchen Zielen der Linkspartei inhaltlich übereinstimmen. Zusätzlich gilt für viele politische Expert:innen das Klimaschutzprogramm der Linkspartei als das einzige, das dem 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens irgendwie nahe kommt.14

Doch woran liegt es dann, dass die Linkspartei derzeit um ihre politische Bedeutung bangen muss?

Akademisierung im politischen Berlin

Eine andere als die gängigen und zuvor dargestellten Analysen könnte lauten: DIE LINKE hat wie keine andere im Bundestag vertretene Partei mit der Akademisierung des politischen Betriebs zu kämpfen. Während 1949 „nur“ 44 % (Gesamtbevölkerung: 3 %) der im Bundestag vertretenen Abgeordnet:innen einen akademischen Abschluss hatten, sind dies mittlerweile 87 % (Gesamtbevölkerung: 18,5 %).15 Offensichtlich unterrepräsentiert sind dabei Menschen mit Berufsausbildung (46,6 % der Gesamtbevölkerung).16 Der hohe Bildungsgrad der politischen Vertreter:innen in Berlin könnte sich dabei insbesondere für die Linkspartei nachteilig auswirken, setzt diese doch nachweislich des Wahlprogramms primär auf das Thema der sozialen Gerechtigkeit. Ein Thema, das vor allem Nichtakademiker:innen mit oftmals geringen Einkommen betrifft. Das Problem: Fühlt sich die Zielgruppe durch das politische Personal nicht angemessen vertreten oder versteht gar die akademisierte Sprache der politischen Forderungen nicht, wird das Kreuz entweder bei einer anderen Partei gesetzt oder der Gang zur Urne erst überhaupt nicht angetreten.

Die Linke erreicht ihre potenzielle Wählerschaft nicht

Die Analysen der Bundestagswahl 2021 könnten diese Theorie bestätigen. So konnte die Linkspartei lediglich 3 % der Wähler:innen mit “einfacher Bildung” von sich überzeugen – das schwächste Ergebnis aller aktuell im Bundestag vertretenen Parteien. Im Vergleich: Die AfD erreichte starke 13 % (Gesamtergebnis: 10,3 %).17 Das gleiche Bild ergibt sich bei einem Blick auf das Wahlergebnis in den einkommensschwächsten 70 Wahlkreisen. Auch hier landete DIE LINKE mit 7,7 % auf dem letzten Platz, weit hinter der AfD (16,2 %).18 Damit drängt sich der Eindruck auf, dass sich die AfD nicht nur in der Parteienlandschaft etabliert hat, sondern auch als die bessere Lösung für soziale Gerechtigkeit wahrgenommen wird. Verheerend für die Linkspartei. 

Bestätigend wirkt auch ein Blick auf das Durchschnittseinkommen der Wählergruppen. Wenig überraschend liegt dieses bei potenziellen FDP-Wähler:innen mit 3.400 Euro am höchsten und bei der Linkspartei am niedrigsten (2.400 Euro). Doch bezeichnender ist, dass Nichtwähler:innen mit einem Einkommen von nur gut 2.000 Euro noch weniger verdienen19 – eine Wählergruppe, die eigentlich wie geschnitzt für das linke Wahlprogramm und Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit ist.

Wenn Akademiker:innen über soziale Gerechtigkeit reden

Das Problem: Wird in der Politik über die Fragen der sozialen Gerechtigkeit geredet, kann schnell der Eindruck entstehen, dass die Lösungen nicht miteinander diskutiert werden. Vielmehr suggerieren gut ausgebildete, auf der ökonomischen und sozialen Sonnenseite des Lebens stehende Menschen, die Antworten für Lebensentwürfe und alltägliche Probleme von gesellschaftlichen Gruppen zu haben, deren Probleme allenfalls auf intellektueller, philosophischer Ebene nachvollzogen werden. Die gute Absicht, mit den Forderungen das Leben der sozial schwächer gestellten Bevölkerungsgruppen zu verbessern, soll dabei nicht in Frage gestellt werden. Doch bei der potenziellen Wählerschaft entsteht eben auch nicht das Gefühl, mit einer gemeinsamen Sprache auf Augenhöhe behandelt zu werden oder gar Teil der Lösung zu sein. „Wir lassen niemanden zurück“ proklamierte DIE LINKE im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 direkt auf der ersten Seite.20 Welcher Langzeitarbeitslose, der längst zurückgelassen wurde und dem die Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben nur bedingt möglich ist, möchte bei so einem Satz überhaupt „mitgenommen“ werden?

Und so entsteht zu oft der Eindruck: Die Linkspartei adressiert ihre Forderungen der sozialen Gerechtigkeit zwar an die richtige Wählerschaft, erreicht jedoch stattdessen zu oft bloß ein akademisiertes Publikum, das sich auf intellektueller Ebene mit den Begünstigten der Forderungen solidarisiert. Die Langzeitarbeitslosen, die Geringverdienenden, die Pflegekräfte oder junge Familien, bei denen mehr soziale Gerechtigkeit ankommen soll, werden dagegen unterwegs verloren.

sokra, 2023: https://sonjakrause-malerei.de

1. https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/ (Abrufdatum: 25.03.2023).

2. ebd.

3. https://www.bundeswahlleiterin.de/bundestagswahlen/2021/ergebnisse/bund-99.html (Abrufdatum: 25.03.2023).

4 Martin Kliehm, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Linkspartei in der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt, in: https://www.fr.de/frankfurt/martin-kliehm-in-der-aussenpolitik-ist-die-linke-eine-katastrophe-91524986.html (Abrufdatum: 25.03.2023).

5 Süddeutsche Zeitung, Rechts überholt, 14.03.2023. Abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/die-linke-afd-protestwaehler-1.5769538 (Abrufdatum: 25.03.2023).

6 DW, Wie viel SED und DDR stecken noch immer in der Linken? 03.03.2020. Abrufbar unter: https://www.dw.com/de/wie-viel-sed-und-ddr-stecken-noch-immer-in-der-linken/a-52616992 (Abrufdatum: 25.03.2023).

7 Download des Wahlprogramms der Partei DIE LINKE hier: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwi0stzM0In_AhU7SPEDHZRIBx4QFnoECBQQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.die-linke.de%2Ffileadmin%2Fdownload%2Fwahlen2021%2FWahlprogramm%2FDIE_LINKE_Wahlprogramm_zur_Bundestagswahl_2021.pdf&usg=AOvVaw1PvfxID9EjdTFamQ_548Xi (Abrufdatum: 25.03.2023).

8. https://www.arbeitsagentur.de/news/arbeitsmarkt (Abrufdatum: 25.03.2023).

9 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/17425/umfrage/anteil-der-langzeitarbeitslosen-in-deutschland/ (Abrufdatum: 25.03.2023).

10 Niedriglohnverdiener bedeutet an dieser Stelle ein Monatseinkommen von maximal 2.284 Euro brutto. Damit verdient jemand weniger als zwei Drittel des mittleren Bruttolohns.

11 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/niedriglohn-deutschland-statistik-1.5501775 (Abrufdatum: 25.03.2023).

12 https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publicationFile (Abrufdatum: 25.03.2023).

13https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/oktober/2023-fehlen-in-deutschland-rund-384000-kita-plaetze (Abrufdatum: 25.03.2023).

14 Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt und Lennard Sund, Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, in: Die Bundestags-Wahlprogramme der Parteien – gemessen am Pariser 1,5-Grad-Ziel, dem Klimabeschluss des BVerfG und der EU-Klimapolitik, 07.10.2021. Abrufbar unter: http://www.sustainability-justice-climate.eu/files/texts/Paris-Generationenstiftung-Studie.pdf (Abrufdatum: 25.03.2023).

15 DW, Der Bundestag: Ein Parlament der Akademiker? 31.10.2021. Abrufbar unter: https://www.dw.com/de/der-bundestag-ein-parlament-der-akademiker/a-59663149 (Abrufdatum: 25.03.2023).

16 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Bildungsstand/_inhalt.html 

17https://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl/analyse-der-bevoelkerungsgruppen-wer-waehlte-wie-akademiker-und-reiche-waehlen-gruen-renter-spd_id_24280744.html (Abrufdatum: 25.03.2023).

18 https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/bundestagswahl-2021-karte-ergebnisse-wahlkreise-armut-reichtum/ (Abrufdatum: 25.03.2023).

19 ebd.

20 siehe Fn. 7.

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