41 Prozent der Deutschen Bevölkerung finden es besser, wenn unterschiedliche Kulturen und Religionen sich nicht miteinander vermischen. Dies hat eine im August 2022 veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung 1 ergeben. Das KATAPULT-Magazin stellte auf Grundlage dieser Zahl in einem Instagram-Post mithilfe einer grafischen Darstellung unter der Überschrift „Ich bin ja nicht rechts, aber …“ eben jene 41 Prozent der Bevölkerung mit der rechtsextremen Vereinigung „Identitäre Bewegung“ gleich, die vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem eingestuft“ wurde. 2
Studie: 39 % der Deutschen mit Mitgrationshintergrund stimmen zu
Das KATAPULT-Magazin weist mit diesem Instagram-Post zunächst lediglich überspitzt auf ein berechtigtes Thema hin: Nach wie vor gehört in Deutschland die Skepsis gegenüber anderen Kulturen und Religionen genauso zur Identität des Landes wie die angesprochenen Kulturen und Religionen mittlerweile selbst Teil des Landes sind. Dem damit einhergehenden Fremdenhass und Rassismus sowie den zahlreichen Benachteiligungen im täglichen Leben für Menschen mit Migrationshintergrund muss entschieden entgegengetreten werden. Das sollte außer Frage stehen.
Wie hilfreich dabei allerdings der besagte Instagram-Post ist, mag zumindest fraglich sein – schließlich verschweigt sowohl das Bild als auch der darunter stehende Text bewusst oder unbewusst, wie sich die zitierten 41 Prozent überhaupt zusammensetzen. Zwar wird noch auf die Tatsache verwiesen, dass 39 Prozent der Befragten in Westdeutschland und 48 Prozent der Befragten in Ostdeutschland die These unterstützen. Unerwähnt bleibt allerdings folgendes: Auch 39 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund3 stimmten der Aussage zu.
Journalismus lenkt Debatten
Falsch hat das KATAPULT-Magazin die Studie dennoch nicht zitiert. Anhand des Beispiels zeigt sich jedoch die Wichtigkeit, Berichte über Studien – egal von wem sie zitiert werden: Ob vom Lieblingsmagazin oder der Zeitung aus einem anderen politischen Spektrum – mit Vorsicht zu genießen. Denn jede:r deutet Zahlen und Ergebnisse auf unterschiedliche Art und Weise, trotz (versuchter) journalistischer Objektivität und immer im Kontext seiner eigenen soziokulturellen Herkunft und politischen Meinung, und kann mit den eigenen Analysen und Rückschlüssen Debatten in Gang setzen und steuern. Die 751 Kommentare unter dem Instagram-Post4 belegen dies eindrucksvoll.
Die Diskussion, die durch das KATAPULT-Magazin in Gang gesetzt wurde, hatte angesichts der Fotomontage und der Überschrift des Posts wenig überraschend die Abgrenzung zwischen einem noch demokratischen “rechts” und einem den Boden unserer Verfassung verlassenden “Rechtsextremismus” zur Folge. Auch die Frage nach der Kompatibilität unterschiedlicher Kulturen und Religionen wurde diskutiert. Wichtige Fragen, durchaus. Die sich jedoch weniger emotional aufgeladen und mehr auf Argumente orientiert diskutieren lassen dürften, wenn nicht 41 Prozent der Bevölkerung von Beginn an gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus ankämpfen müssen.
Clickbaiting, politische Agenda oder Ungründlichkeit?
Der Schwung mit der Nazikeule geht in diesem Fall fehl. Denn erstens wird die Vielfalt, die durch Einwanderung entsteht, insgesamt mehrheitlich – mit Ausnahme von Ostdeutschen – als Bereicherung angesehen.5 Zweitens beinhaltet die Studie keinerlei Aussagen darüber, aus welchen Gründen eine Vermischung von Kulturen und Religionen abgelehnt wird. Eine Kategorisierung als “rechts” oder gar “rechtsextrem” auf Grundlage der Studie ist daher nicht begründbar und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Clickbaiting6 zu forcieren oder gar eine politische Agenda zu verfolgen. Als geringstes Übel erscheint da noch eine letzte Möglichkeit: Ungründliches Arbeiten. So oder so scheint der Instagram-Post bei der Zielgruppe Anklang gefunden zu haben. Mit 14.000 Likes gehört der Beitrag zu den beliebtesten der letzten Wochen.
Sozialpsychologie: Menschen suchen Ähnlichkeit
Im Ergebnis dürfte die Studie der Bertelsmann Stiftung eine wissenschaftliche Erkenntnis einer sozialpsychologischen Befragung von Forschenden der Universität Oxford aus dem Jahr 2013 bestätigen: Die Auswahl von Freundinnen und Freunden orientiert sich – neben den Rahmenbedingungen der räumlichen Nähe oder dem zur Verfügung stehenden Zeitbudget7 – auch an vorhandenen Gemeinsamkeiten. Aufgeführt werden insbesondere Merkmale wie der gemeinsame Sinn für Humor, gemeinsame Hobbys und Interessen, moralische Überzeugungen sowie die Herkunft.8
Ein Blick in das eigene soziale Umfeld dürfte bei vielen zeigen: Die Studie hat recht. Egal ob Sport, erlernter Beruf, Musikgeschmack, gemachte Erfahrungen, politische Einstellung oder Herkunft – in vielen Bereichen, die unsere Biografie in sozialer und kultureller Hinsicht prägen, umgeben wir uns bevorzugt mit Menschen, die auf ähnliche Erfahrungen oder Interessen zurückgreifen können. In diesem Kontext erscheint der Weg hin zur Klassifizierung “rechts” oder “rechtsextrem” plötzlich ein sehr weiter zu sein.
Journalismus hat Verantwortung
Die Zeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehsendungen, die für sich das Attribut “Qualitätsjournalismus” in Anspruch nehmen, müssen sich daher ihrer Macht, Debatten zu starten ebenso bewusst sein wie ihrer Autorität gegenüber den Leserinnen und Lesern. So dürften nicht selten die in der Lieblingszeitung vorgetragenen Informationen und in Meinungskommentaren geäußerte Thesen das Meinungsbild des Zielpublikums erheblich prägen und beeinflussen. Daraus folgt für alle Medienschaffende zwingend, sich der eigenen Unvoreingenommenheit und Neutralität ständig zu vergewissern und sich frei zu machen von politischen Agenden – so richtig und unterstützenswert sie auch wirken mögen. Dies gilt umso stärker in Anbetracht eines der größten Probleme des Journalismus der heutigen Zeit:
Das Problem […] der Berichterstattung liegt darin, dass das Normale uninteressant ist
Saul Bellow, US-amerikanischer Schriftsteller und Träger des Nobelpreises für Literatur
Eine Ausrede für tendenziösen Journalismus darf diese Problematik niemals sein.
1 Bertelsmann Stiftung, Zusammenwachsen in der Einwanderungsgesellschaft, Wie denkt die Bevölkerung über Teilhabe, Verbundenheit und Zugehörigkeit? August 2022. Download unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Migration_fair_gestalten/DZ_Zusammenwachsen_in_der_Einwanderungsgesellschaft_2022.pdf (Abrufdatum: 29.09.2022).
2 Bundesamt für Verfassungsschutz, Rechtsextremismus: https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/begriff-und-erscheinungsformen/begriff-und-erscheinungsformen_node.html (Abrufdatum: 29.09.2022).
3 Als Deutsche mit Migrationshintergrund klassifizierte die Studie entsprechend der Definition des Integrationsmonitorings der Länder aus dem Jahr 2021 „jene Personen, die Ausländer/innen sind oder im Ausland geboren und nach dem 31.12.1955 nach Deutschland zugewandert sind oder einen im Ausland geborenen und nach dem 31.12.1955 nach Deutschland zugewanderten Elternteil haben“, Studie S. 6.
4 Stand: 29.09.2022.
5 Dieser These stimmten 51 Prozent der Deutschen ohne und 63 Prozent der Deutschen mit Migrationshintergrund zu sowie 57 Prozent der Westdeutschen, aber lediglich 42 prozent der Ostdeutschen, Studie, S. 17.
6 Mit Clickbaiting wird medienkritisch ein Prozess bezeichnet, Inhalte im Internet mit einem Clickbait (deutsch: Klick-Köder) anzupreisen. Clickbaits dienen dem Zweck, höhere Zugriffszahlen und damit unter anderem mehr Werbeeinnahmen durch Internetwerbung oder eine größere Markenbekanntheit der Zielseite bzw. des Autors zu erzielen.
7 Spektrum, Die Gesetze der Freundschaft, 11.04.2013. Abrufbar unter: https://www.spektrum.de/news/die-gesetze-der-freundschaft/1190912 (Abrufdatum: 29.09.2022).
8 Oliver Curry/Robin I. M. Dunbar, Do Birds of a Feather Flock Together? (Abstract abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s12110-013-9174-z; Deutschlandfunk Nova, In unseren Freunden suchen wir uns selbst, 04.03.2021. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/freundschaft-in-unseren-freunden-suchen-wir-uns-selbst (Abrufdatum jeweils: 29.09.2022).
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