Auf der Lounge ist es zum ersten Mal warm in diesem Jahr. Ich sitze auf dem Platz, auf dem ich schon so einige Nächte mit dir geredet habe und schaue dich an. Dein Pullover ist dir ein bisschen unter dein Kinn gerutscht, deine Arme sind ein wenig fahrig vor deiner Brust verschränkt. Du liegst halb auf deinem Kissen, die Augen suchen vor dir nach etwas, an denen sie haften bleiben können. Wie aufgeregte kleine Kugeln rollen sie durch die Welt, auf Ausblick nach Gefühlen, Worten, Begriffen. Ich habe das Gefühl, du denkst, dass du nicht genau das sagen kannst, was du gerne würdest. Weil das, was in dir ist, nicht mit Worten zu greifen ist. Du bist so viel besser mit Worten als ich, sagst du, und dein linker Daumen massiert das Handgelenk deiner rechten Hand. Dein Blick sucht mich kurz und rollt dann wieder in die Welt.
Ich sage dir, dass egal, was du teilen magst, das Richtige ist, und dass die richtigen Worte zu dir kommen werden. Dass ich weiß, dass du einen Ausdruck hast, der bei mir ankommt. Schon immer angekommen ist. Wie oft wir uns schon ausgetauscht haben – Familie, Brüder, arbeiten. Über Kreativität, Zukunft und dieses Leben, über das man als junger Mensch nachdenkt und in dem wir nun richtig drinstecken. Unsere Gespräche können mühelos springen: Von spitzen Kommentaren mit großer Intensität, die uns beide in so schallendes Gelächter ausbrechen lässt, dass die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster kitzeln, ein wenig heller wirken. Bis hin zu leisen Gesprächen wie diesem, in denen der Fluss, der zwischen uns beiden zu fließen beginnt, ganz leise rauscht. Von Sicherheit erzählt, von Schmerz, von großen Gefühlen und wogenden Wegen, die wollen, aber nicht werden.
Du suchst weiter nach Worten, formulierst vorsichtig, tastend. Als würdest du mit geschlossenen Augen in einen Raum treten, der dir zunächst fremd ist. Ich spüre deine Finger, die an den Worten kleben bleiben, über sie rutschen und hin und wieder zupacken. Du sprichst von Schmerz, von Angst, von Leere. Dass die das Schlimmste ist – sich so leer zu fühlen, wo vorher so viel Freude war. Dass der Körper plötzlich wie aufgeräumt wirkt, aber nicht auf die gute Weise. Eine Art von Kälte, die einen alles neu suchen lässt, wobei man doch mal wusste, wo alles zu sein hat. Eine kalte Hand hat aufgeräumt, ohne Einfühlen oder Wohlwollen. Ein roter Strich fährt durch die Welt, kürzend, brechend, ohne Gnade. Alle Lieblingsplätze sind geräumt – als wäre nun weniger Leben an diesem Ort. Ich lasse dich reden, alles verlieren – nun sollst du die große Hand sein, die Leere nimmt und füllend spricht. Damit Worte haltend Ruhe geben. Damit ein Ort des Nichts nicht mehr nichts ist.
Die Sonne ist inzwischen ein ganzes Stück weiter gewandert. Ich sage dir, dass Gefühle kleiner werden und nicht größer, schwächer und nicht stärker, wenn man sie anerkennt. Wir sprechen über Akzeptanz und wie es ist, man selbst zu sein. Eigentlich haben wir beide Dinge zu tun, doch gerade ist nichts anderes wichtig als deine Worte. Ich bin in diesem Moment nur hier, damit du sein darfst. Ich bin Zeuge, dass die Leere nicht du bist, sondern dass du alles bist. Ich sage dir, wie stolz ich auf dich bin und wie sehr es mich beeindruckt, wie du diese Welt siehst. Mein Herz verbindet sich mit deiner Frequenz, der Sender heißt Liebe. Deine Augen rollen wieder bei mir vorbei und ich sehe, dass an den flimmrigen Kreisen ein kleines Meer aus Gefühl entstanden ist. Du lächelst verstohlen und warm, dein Gefühl streicht über meine Haut. Die Welt hat ein wenig die Farbe verändert, das spüre ich. Wir sprechen nun von deinen Wegen – von Farbe, Form und Fantasien. Wieder von Ängsten, aber eben auch von Sicherheiten. Dass ich eine Sicherheit bin und sein werde.
Du darfst dich ausbreiten – du darfst Burgen um mich bauen aus schwarzem Sand, die einzustürzen drohen genau wie kleine weiche Kostbarkeiten, die einladen, sich niederzulassen. Deine Worte sind bei mir sicher, denn meine Ohren und mein Herz gehören gerade dir, niemandem sonst. Ich schenke dir das Kostbarste, das ich zu geben habe: Zeit und Aufmerksamkeit. Ohne Bekundungen, dass alles wieder gut wird oder halb so wild ist, denn: Darum geht es nicht. Die Welt wird nicht anders sein, sondern du darfst deine Stärke sehen. Ich tröste am Ende nicht mich selbst. Du bist wichtig. Du bist ohne Abhängigkeit größerer Mächte oder anderer Umstände unumstößlich und immerwährend wunderbar. Mir ist wichtig, dass du siehst und spürst: Du wirst gesehen.
Irgendwann ist die Welt dann doch wieder da, unausweichlich. Ich umarme dich, bevor wir wieder zurückgehen. Ich sage dir, wie toll ich dich finde, und mein Herz drückt sich ganz nah an deinem Herzschlag. Derselbe Takt, die gleiche Frequenz. Gemeinsam. Du sagst, dass es jetzt ein wenig heller ist.
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