The Whale oder how to lose appetite for popcorn (fast)

Brendan Fraser is(s)t in einem kleinen düsteren Apartment: Eine Filmkritik über Schuld, Scham und den Wunsch nach Vergebung.

Darren Aronofsky bringt mit The Whale eine weitere ikonische Charakterstudie, wie sie typischer für seine Arbeit nicht sein könnte. 

Eins vorweg: Der Film ist einmal mehr phänomenal verstörend geworden. Wir erinnern uns an The Wrestler, in dem Micky Rourkes „Ram“ Randy Robinson trotz zerfallendem Körper einfach nicht vom Proficatchen lassen kann, an Blackswan, in dem Natalie Portmans Primaballerina Nina sich psychisch wie physisch im Schwanensee-Ballett verliert und natürlich an Requiem for a Dream, in dem sich gleich der ganze Cast am alles überstrahlenden Thema Sucht zu Grunde richtet. 

Aronofsky liebt es bekanntermaßen, sich an gebrochenen und/oder zerbrechenden Charakteren abzuarbeiten und das zeigt sich auch in The Whale. Dieses Mal heißt der Endgegner allerdings nicht Wrestling, sondern Cheeseburger. Oder Pizza. Oder was vom Mexikaner. Einfach ekelhaft viel Junkfood. Es wären auch Crack oder Computerspiele denkbar gewesen, denn die Art der Zerstörung ist prinzipiell austauschbar, siehe Filmografie. 

In seinem neuesten Streifen zieht Aronofsky also den fast vergessenen Brendan Fraser (Die Mumie), der einmal als Hollywoods Darling galt, aus dem Hut. Dieser liefert prompt seine für mich bis dato beste Performance ab und wird folgerichtig mit dem Oscar geehrt. Dank geradezu unheimlich perfekter Maske, Fatsuit, Gewichtszunahme und CGI ist Fraser kaum wiederzuerkennen. 

The Whale ist ein Kammerspiel, das in einem dunklen und schmutzigen Apartment irgendwo im nirgendwo von Idaho, USA spielt und auf dem gleichnamigen Theaterstück von Samuel D. Hunter basiert. In der Eröffnungsszene lernen wir den titelgebenden Protagonisten Charlie (den Wal) kennen, der beim Masturbieren einen Herzinfarkt erleidet. Zufällig wird er von einem idealistischen Kirchenmissionar gefunden und gerettet, indem dieser dem darum bettelnden Charlie eine handschriftlich verfasste Kritik zu Moby Dick (Achtung Meta-Alarm) vorliest und ihn so beruhigt. Sein Geld verdient Charlie mit einem Remote-Online-Schreibkurs, wobei seine Laptop-Frontkamera stets deaktiviert bleibt, denn er schämt sich für seine Fettleibigkeit. Charlie ist nämlich so exorbitant adipös, dass er sich nur mehr mittels Rollator, bzw. Rollstuhl durch die klaustrophobische, gar lebensfeindliche Wohnung bewegen kann. 

Zum Inhalt


Im Wesentlichen handelt der Film von Schuld, Scham und dem Wunsch nach Vergebung. Charlie hat seine Frau und Tochter im Kindesalter im Stich gelassen und ist mit seinem Geliebten durchgebrannt. Jetzt kurz vor seinem Exitus möchte er Tabula Rasa machen und die Absolution seiner Tochter, meisterhaft ekelhaft gespielt von Sadie Sink (spielt quasi die gleiche Rolle in Stranger Things), erhalten.

 
Charlie verspricht seiner Tochter die erquickliche Menge von hundertzwanzigtausend(!) Dollar, wenn sie bereit ist, ihn in seinen letzten Tagen auf der Welt regelmäßig zu besuchen und mit ihm gemeinsam ihre Schulaufsätze zu korrigieren. Im wahrsten Sinne ein Heimspiel für Charlie und ein guter Stundenlohn für die aufmüpfige, dauergenervte sowie scheinbar boshafte Tochter. Seine einzige Freundin und Pflegerin Liz, liebevoll porträtiert von Hong Chau, weiß nichts von diesem kleinen Vermögen, was weiteres Konfliktpotenzial birgt. Ganz so trivial ist es dann zwar doch nicht, aber mehr möchte ich jetzt auch nicht sagen. Überzeugt euch am besten einfach selbst! 

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Eine Warnung zum Schluss


Der Film ist alles andere als leichte Kost und knallt stellenweise richtig hart auf die Zwölf. Mein persönlicher „Wein-o-Meter“ – ja, ich bin sehr nah am Wasser gebaut – schlägt mit ungefähr 6,5 von 10 möglichen Tränen zwar nicht komplett aus, aber ich sag’s in aller Deutlichkeit: The Whale ist harter Tobak. Insbesondere die Fress-Exzess-Szenen, in denen Charlie in kürzester Zeit fast manisch alles verspeist, was seine Küche hergibt, haben es wirklich in sich… 

Selten habe ich eine derart angespannte und gespenstische Stille im Kinosaal erlebt, wie in den Charlie-Herzinfarkt-Speedrun-Szenen. Meine Freundin musste wegschauen. Ausdrückliche Triggerwarnung an alle, die in welcher Art auch immer mit Essstörungen zu tun haben. Wenn euch das nicht abschreckt und ihr euch mal wieder tief in die Höhle menschlicher Abgründe hinab wagen wollt, lege ich euch The Whale wärmstens ans Herz. In einem Satz: Ganz großes Kino auf engstem Raum mit Aronofsky-typischen Body-Horror-Elementen in mondänem Gewand. 

sokra, 2023: https://sonjakrause-malerei.de

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