Ich bin vor kurzem umgezogen. An der Ecke neben dem Haus, in in dem ich jetzt wohne, ist ein uriges italienisches Restaurant mit dem wunderbaren Namen „La bella Sicilia“. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich die roten Buchstaben des Restaurants erblicke, denn sie holen mir meinen Sehnsuchtsort nach Berlin. Dieser so simple Name schafft es, dass ich mich für einen kurzen Moment so fühle, als stünde ich vor dem azurblauen mare, das fast die gleiche Farbe wie der Himmel hat und kann dann beinahe die salzige Meeresluft riechen. Denn das wirkliche bella Italia ist für mich la bella Sicilia.
Die meisten Menschen verbinden mit der größten Insel im Mittelmeer vor allem Müll und Zitronen. Beides gibt es – im ersteren Fall leider – auch wirklich nicht zu wenig. Aber Sizilien ist natürlich so viel mehr als das. Angefangen mit einer einzigartigen Kultur, die wahnsinnig faszinierende Städte und Bauwerke hervorgebracht hat, dem berühmten Essen, dass auf Sizilien die klassische italienische Küche mit Einflüssen aus der halben Welt verbindet, bis hin zu einer vulkanischen Natur die vielfältiger und gewaltiger kaum sein könnte.
Das städtische Sizilien
Catania, Palermo, Cefalu, Messina, Taomina, Siracusa– jede Stadt auf Sizilien besticht durch ihren ganz eigenen Charme. Auf den berühmt-berüchtigten Märkten in Palermo ist es geschäftig laut, wuselig, bunt und vor allem kommen sämtliche Sinne auf ihre Kosten. Fast jeder der eng aneinander gereihten Marktstände bringt einen ganz anderen intensiven Geruch mit sich. Manchmal ist mein Geruchssinn fast überwältigt von dem abrupten Wechsel der süßlich-herben Früchte und Gewürze und dem durchdringenden Geruch des Fisches und der frisch zubereiteten Speisen. Für mich sind fast die schönsten Momente in dieser Stadt, wenn ich mich in den schmalen Gässchen Palermos verliere und verirre – insbesondere in Kalsa, dem ehemaligen Armenviertel. Die typisch italienischen Gassen bilden ein verworrenes Labyrinth aus hellem Stein, in dem es tausende von kleinen Details zu entdecken gibt: Wandmalerei, Graffiti und andere Street Art; kunterbunte Wäsche auf verschnörkelten kleinen Balkonen und herabhängende grüne Pflanzen. Ein Innehalten in dieser so malerische Kulisse, um das volle Leben in dieser Stadt aufzusaugen, lohnt sich.
Catania ist mindestens genauso schön – auf eine ganz andere Weise. Die Stadt ist herrschaftlich und prachtvoll, aber gleichzeitig hip, bunt, cool und erinnert mich manchmal ein bisschen an Berlin. Spätestens als ich hier an einem lauen Sommerabend in einem der zahlreichen Bars und Restaurants mit einem Teller Pasta fresca vor mir saß und den Straßenmusikern gelauscht habe, wie sie – natürlich – „Volare“ und andere italienische Klassiker gespielt haben, habe ich mein Herz an diese Stadt verloren. Aber auch der überall gegenwärtige Blick auf den Ätna trägt zu dieser Liebe bei. Beim Schlendern über die Via Etna, der großen Einkaufsstraße, die umsäumt ist von anmutigen Barockbauten, türmt sich der Vulkan am Ende der Straße in seiner ganzen schwarzen Gewaltigkeit auf. Und es wirkt beinahe so, als wollte er die Menschen zu seinen Füßen auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Manchmal komme ich mir ein bisschen klein und unbedeutend vor. Und mein Respekt vor den Naturgewalten wird mit jedem Blick nach oben verstetigt.
Die Natur Sizilien
Bereits am Ende mancher Straßen in Städten wie Palermo und Catania kann man in der Ferne atemberaubende Natur erahnen. Sizilien beheimatet wirklich ein wunderbares Meer an unterschiedlichsten Farben und Landschaften.
Auf der Küstenseite das, je nach Sonneneinstrahlung, türkisblaue Meer, das im Sommer genau die richtige Temperatur hat, um sich abzukühlen. Jedes Mal, wenn ich in dem friedlichen Wasser schwimme, das den Körper sanft umschmeichelt und die dunklen Schatten der Äolischen Inseln am Horizont erblicke, fühle ich mich fast schwerelos. Ab und zu kann ich durch die kristallklare Wasseroberfläche die kleinen gelb-schwarzen Fische beobachten, die meine Füße wie Fliegen umschwärmen und manchmal sogar daran knabbern. Dabei werde ich von einem leisen Meeresrauschen begleitet. Ab und zu höre ich ein fernes Platschen, das von den zahlreichen fliegenden Fischen herrührt, die auf der Wasseroberfläche aufkommen. Im Moment zu sein, erscheint hier wirklich wie das Einfachste der Welt.
Im Landesinneren finden sich vor allem größere und kleinere Berge, die von sattgrün bis dunkelbraun, von hellgrau bis schwarz reichen. Allen voran natürlich der berühmte Vulkan Ätna. Die „Lunge Siziliens“ ist die wunderschöne grüne Oase im Nordosten der Insel. Die kleinen Serpentinenstraßen mit tausenden von Schlaglöchern – oder auch classic sicilia roads wie manch einer sie nennt – können am besten mit einem uralten Fiat erklommen werden. Entlang den Straßen hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein wunderbares Paradies an Bäumen und Pflanzen gebildet. Neben uralten Oliven-, Orangen-, Zitronen-, Apfel-, Kaki-, Avocado und Feigenbäumen, mit unvergleichlich saftigen Früchten, wachsen dort sämtliche Nussbäume, die man sich vorstellen kann. Nicht selten bin ich die steilen Straßen in der glühenden Mittagssonne hochgelaufen, um mich an den honigsüßen Früchten und den wild wuchernden, duftenden Oregano-, Rosmarin- und Minzsträuchern zu bedienen. Zwischen dieser paradiesischen Natur tauchen immer wieder der Landschaft schmeichelnde Häuser auf, die wie kleine neugierige Zwerge zwischen den Bäumen hervorlugen. Oftmals sind die Gebäude umrahmt von wild wuchernden Wein- und Kiwipflanzen, dessen Früchte so malerisch aussehen, dass man sich kaum traut sie zu kosten. Wasserquellen sind hier fast zahlreicher als die Bevölkerung. Inmitten dieses Idylls lassen sich fast alle Sorgen des Alltags und der Welt sehr schnell vergessen.
Das dolce vita Siziliens
Die meisten kennen das dolce vita, für das ganz Italien so berühmt ist. Und natürlich wissen auch die Sizilianer:innen bestens wie man dieses lebt. Egal, ob ich über die lauten und wuseligen Märkte in Palermo schlendere, einen Espresso am Chiosco in Catania trinke und den Nachbarn zuhöre, wie sie sich über die Woche und das Essen in sehr expressiver (Körper)Sprache austauschen, oder bei 30 Grad ein fruchtiges, nussiges, schokoladiges oder milchiges Gelato löffele – es gibt wenig Orte, an denen das Leben so sehr und leicht zu spüren ist, wie hier. Und das Leben dreht sich eben vor allem um Essen, wenn man es auf die italienische Art genießen will.
Dieses sizilianische Essen ist ein absoluter Traum. Wenn morgens die Sonne den Asphalt auf den Strandpromenaden in den kleinen Ortschaften und in den Städten aufheizt, dann kann man sich nach sizilianischer Manier mit einem Granita al limone siciliana abkühlen. Dieses klebrig-süße Eis auf Wasserbasis ist so leicht und erfrischend, dass es sich nicht mal anfühlt, als würde man eine Süßspeise zu sich nehmen. Endgültig verfällt man dem Granita in Kombination mit einem Löffel Sahne obendrauf und einem butterweichen und fluffigen Biocche, das wohl aus Frankreich nach Sizilien gebracht wurde und das sich von seinem französischen Vorfahren nur durch einen Knubbel in der Mitte unterscheidet.
Spätestens ab Nachmittags ist der Aperitivo ein absolutes Muss. Fast noch angenehmer und erfrischender in der drückenden Nachmittagssonne als der berühmte und beliebte Aperol Spritz sind die Sicily Spritz – mit Limoncello (auch seit neuestem Berliner Trendgetränk) oder mit einem fruchtigen-sauren Zitronengranita. Selbstverständlich reichen die Sizilianer:innen, wie es sich in Italien gehört, dazu ein paar Chips und zahlreiche andere Knabbereien.
Zum cena, dem Abendessen, warten einige der berühmtesten italienischen Speisen auf einen, die aus Sizilien kommen – Pasta alla Norma ganz vorne weg. Alleine an dieses Gericht könnte man eine Liebeserklärung schreiben. Die milden, fast süßen Auberginen in der fruchtig-säuerlichen Tomatensauce, kombiniert mit einem herben und salzigen Ricotta sind ein absolutes Gedicht für sämtliche Geschmacksnerven. Nirgends habe ich bisher so ein einfaches Gericht gegessen, was mich noch Wochen lang hat schwärmen lassen. Aber natürlich sind durch das überall gegenwärtige Meer auch sämtliche Fischgerichte – insbesondere in Kombination mit Risotto und Pasta – kaum zu übertreffen. Wer Glück hat und im Spätsommer reist, der kann eine Pasta mit frischen porcini essen oder den Inselbewohner:innen direkt bei der Pilzsuche helfen. Sobald irgendwo die ersten Pilze gesichtet werden, pilgern sämtliche Einheimische am Wochenende in die Berge zu den Haselnusshängen, an denen die Steinpilze von heute auf morgen aus dem Boden sprießen.
Als süßen Abschluss eines Tages verzaubert ein Cannolo mit cremig-leichter Vanille-Ricottafüllung umhüllt von Pistazien und kandierten Früchten den Gaumen. Spätestens dann sind wirklich alle Sorgen passé.
Sizilien vereint alles, was wir Deutschen an Italien so lieben und setzt dieser Liebe noch eine sattrote süße Kirsche auf. Wer das italienische Leben liebt, der wird sein Herz im Nu an la bella Sicilia verlieren. Und das Müllproblem: Das zentriert sich vor allem auf abseitige Straßen in den großen Städten und ist lange nicht mehr so gravierend, wie das Klischee behauptet.
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