Damien Chazelles Babylon: (K)einer hat Spaß

Was hat Babylon mit Everything Everywhere All at Once zu tun? Eine Filmkritik im Nachgang der Oscars 2023 zeigt: Leider viel zu wenig, lieber Damien Chazelle.

Babylon (– Rausch der Ekstase = typisch peinlicher dt. Untertitel) ist ein überraschend bedeutungsarmer, sich selbst feiernder Sonderling geworden. In zunehmend abstrusen, aber dadurch nicht unterhaltsameren 188 (!) Minuten verhebt sich Schlangenölverkäufer Chazelle am L.A.-Epos.

Reise ins Hollywood der 20er und 30er Jahre

In seinem neuesten Film Babylon entführt uns der Regisseur, bekannt als oscarprämierter Regisseur von La La Land, erneut nach Hollywood. Ins Hollywood der 1920er und 30er Jahre, um genau zu sein – der Zeit, als der Stummfilm vom Tonfilm abgelöst wurde. Deshalb wohl auch der Name Babylon: Einerseits in Anlehnung an den biblischen Turm zu Babel, andererseits möglicherweise als Referenz auf das Babylon im rastafarischen Sinne, wonach es alles Sündhafte, Verkommene, primär Amerikanische oder Westliche verkörpert. Beides würde passen. In fiebertraumartigen Sequenzen werden wir chaotisch durch einen Rausch aus Sex, Partys und Drogen gezerrt, wobei die Kamera im entscheidenden Moment dann aber doch – fast peinlich berührt ob so viel nackter Haut – schon wieder auf die nächste Obskurität weiterschwenkt. Ich sag’s frei heraus: Der Film erreicht nie die Klasse des oscarprämierten Schwarzweiß-Films The Artist oder die selbstverständliche Coolness eines Once upon a Time in Hollywood.

Ein Brad Pitt allein macht keinen guten Film

Dieser Vergleich drängt sich auf, sind doch sowohl Brad Pitt als auch Margot Robbie mit von der Partie. Allerdings ist Brad Pitt hier nicht Cliff Booth, sondern Jack Konrad, seines Zeichens All-American Stummfilmstar, Hobby-Italiener und Teilzeitalkoholiker, dem der Umstieg auf die neuen „Talkies“ irgendwie nicht so recht gelingen will. Ein bisschen Lt Aldo Raine (Inglorious Basterds), ein bisschen Cliff Booth (Once upon a Time) und ein bisschen verkniffen in die Kamera schielen. Brad Pitt macht halt Brad Pitt Sachen. 

Aber außer einer Hommage – ich sage nur „BON DJORNOE“ – schafft es keine Szene, einen so richtig in den Film hineinzuziehen. Dabei bietet sein Charakter eigentlich mehr als genug Fleisch. Schon klar, er soll uns ins Brimborium der Roaring Twenties auf ihrem Höhepunkt einführen, wie der stets zwinkernde Lieblingsonkel („God, you’re even more fuckable in real life“), der er nun mal ist, aber es kommt nicht rüber. Der Jean de Jardin ist ihm einfach nicht abzukaufen. Zu unmotiviert ist seine Performance und zu „un-stummschauspielerhaft“ sieht er aus. Es wirkt folgerichtig fast wie ein selbstreferentielles Eingeständnis, als er im Film angefleht wird, einem B-Film ein letztes Mal sein in die Jahre gekommenes Gesicht zu leihen: „Is it shit?“, fragt ein deprimierter und desillusionierter Jack Konrad einen Produzenten, der ihn zunächst für dumm verkaufen will. „It’s shit“, gibt dieser zähneknirschend zu.

Einzig Diego Calva weiß zu überzeugen

Für Manny Torres, dargestellt von dem jungen mexikanischen Schauspieler Diego Calva (u.a. “Narcos: Mexico”), fungiert Brad Pitt als wohlwollender Mentor, der ihn in die Kreise Hollywoods einführt und ihn einflussreichen Gestalten wie „Wunderkind“ Irving Thalberg (MGM) vorstellt. Manny hat nur ein Ziel: Er möchte es in den elitären Kreis der Reichen und Schönen schaffen, er will Teil von etwas Bedeutendem sein, egal wie.

Die Stellen mit Manny zählen zu den besten in Babylon. Er wird durch seine Arbeit am Set als Executive Producer zum aalglatten und berechnenden Hollywood-Hai und ergibt sich wie seine Protegés Stück für Stück dem Babylon Hollywoods. Wenn er Sidney Palmer, gespielt von Jovan Adepo (u.a. “Operation: Overlord”), überredet, sein Gesicht mit Kohle zu schwärzen, weil er im Vergleich zum Rest der Jazz-Band nicht schwarz genug ist, tut das weh. Wenn der Trompeter sich dann zitternd sein Gesicht schwärzt, anschließend inbrünstig Trompete spielt und damit dem Wunsch der Anzüge nachkommt, tut das erst recht weh. 

Schmerzen bereiten aber vor allen Dingen die Dialogzeilen für Margot Robbie. Es erschließt sich nicht, ob das Publikum Nellie LaRoy (nicht la Roix, sondern amerikanisch Roy) bewundern, verachten oder doch bemitleiden soll. Es überwiegt letzteres. Das gleiche gilt für Margot Robbie, die wieder unter ihren Möglichkeiten bleiben muss! Bei ihrer ersten Begegnung mit Manny versichert Nellie, dass sie als Star geboren sei. Und in der Tat, durch ihre Fähigkeit, auf Knopfdruck abgezählte Tränen zu vergießen, wird sie über Nacht zur Stummfilm-Sensation. Leider hat die vermeintliche Femme Fatale, die mit den Konventionen traditioneller Weiblichkeit bricht (?), angeblich eine Quäkstimme, die ihren jähen Absturz aus dem Showbiz in die dunkle Unterwelt Hollywoods besiegelt.

Chazelle scheitert an seinen Erfolgen der Vergangenheit

Was wollte Damien Chazelle mit Babylon? Wollte er eine Romanze zwischen den beiden Emporkömmlingen Nellie und Manny vorgaukeln? Oder war es seine Intention, die knallharten und sich ständig verändernden Machtstrukturen innerhalb der Glitzerwelt L.A.s vor Augen zu führen. Beides gelingt ihm nicht. Zu plump, zu gekünstelt und gewollt wirkt die Beziehung zwischen Stagehand Manny, der sich in Starlet Nellie verliebt und nach seinem eigenen Aufstieg zur Macht zum Retter der abgehalfterten, drogenabhängigen Schauspielerin avanciert. Der Regisseur, der mit dem im besten Sinne theatralischen La La Land den Glauben an den Traum Hollywoods aufleben ließ und im zerebralen Whiplash mit Über-Dirigent Fletcher (J.K. Simmons) einen der besten Bösewichte der letzten Jahre geschaffen hat, kreiert in Babylon kalte, wenig überzeugende Charaktere. Wenn Chazelle große Kunst machen wollte, ist es ihm nicht gelungen. Das ganze Gewusel auf der Leinwand spielt zwar Größe und Bedeutung vor, aber im Grunde ist der Plot nur eine Collage etlicher, oftmals zusammenhangloser Szenen. Es fühlt sich alles nach einem halbgaren Stückwerk an. Daran kann auch der völlig irrwitzige Auftritt Toby Maguires (u.a. “Spider-Man”) im letzten Abschnitt des Films nichts ändern.

188 Minuten gipfeln in peinlicher Selbstdarstellung

Wollte Damien Chazelle Hollywood nach seiner Liebeserklärung La La Land demontieren? Es entmystifizieren? Was soll die ganze Nummer mit Meth Maguire? Verstörende Bilder, Fäkalien in Übergröße und explizite Gewalt am Schluss, um was genau zu erzählen? Herausgekommen ist ein endloser Schwall an „Egogewichse“, garniert mit ein paar Rosinen auf dem Weg. 

Am Ende der Laufzeit (188 Minuten!) landet Babylon mit einem gealterten Manny in den 50er Jahren  Hollywoods und: Hier schießt Chazelle endgültig den Vogel ab. Er erhebt sich selbst in den Olymp der großen Meister, indem er dem Kinopublikum mittels einer Montage eine kleine Geschichte des Kinos aufzwingt, nur um sich selbst am Ende zu krönen. So entsteht der Eindruck, dass die kurz angerissenen Themen Rassismus und Sexismus, die durchaus ihre Daseinsberechtigung haben, nur der Vollständigkeit halber hinzugefügt wurden. Denn in letzter Konsequenz benennt Chazelle zwar reale Probleme, schwenkt dann aber doch schnell auf Pimmel- und Altherrenwitze um.Zurück bleibt das Gefühl der Enttäuschung. Chazelle hat hervorragende, zurecht hochgelobte und oscarprämierte Filme abgeliefert. Und dann produziert er so einen Unfall mit so einem Cast. Immerhin befeuert er so wieder die Lust auf Tarantino. Oder auf Singin’ in theRain (Das Original von 52). Oh ja, ich bin so ein Kenner, fast so begabt wie Chazelle. Lel.

Nicht Babylon, guckt Everything Everywhere All at Once!

Und dann die Oscars 2023: Wieder ein Slap im Mittelpunkt der diesjährigen Oscars?!
Dieses Mal aber nur im übertragenen Sinne und nicht für den erfolgsverwöhnten Damien Chazelle. Während sein Film in den drei nominierten Kategorien (Make-up und Frisuren, Filmmusik und Ton) leer ausging, rasierte Everything Everywhere All at Once kurzerhand im Alleingang das „altehrwürdige Hollywood“: Vier der sog. „Big-Five Kategorien“ gingen auf das Konto des diesjährigen Überfliegers. 

Und hach, jetzt muss der neutrale Ton einfach über Bord geschmissen werden: Everything Everywhere All at Once hat mich zum Fanboy gemacht. Wie ich diesen Streifen liebe <3. Ich will am liebsten gar nichts vorwegnehmen. Bitte schaut euch diesen Film an! Selten hat die Academy in den letzten Jahren so verdammt noch mal recht gehabt und den besten Film zum besten Film gekürt. Eine Mischung aus Rick and Morty, Matrix, Martial Arts Kino und ein schier endloser Vorrat an Witz und Kreativität beschreiben nur im Ansatz das Meisterwerk, welches Everything zweifelsfrei ist. Am Ende musste ich sogar einige Tränchen verdrücken. Wem mache ich was vor, ich habe mit Riesenkloß im Hals Rotz und Wasser geschnieft. 

Bitte vorher nichts lesen, Gott bewahre keine Trailer gucken und sich einfach verzaubern lassen. Ganz kurz zum Inhalt, der sich – so viel sei gesagt – der trendy multiversen Thematik bedient: Die Action knallt, die Witze zünden mit 100% Quote, die Schauspielerinnen und Schauspieler spielen um ihr Leben Schau; und es gibt Tragik aus dem aller obersten Regal. Außerdem ballert der Soundtrack und erstmals gewinnt eine asiatische Schauspielerin, die auch noch jenseits der 50 ist (Michelle Yeoh) den Oscar als beste Hauptdarstellerin, aber nicht weil PoC oder so, sondern wegen ihrer grandiosen Performance. 

Damien Chazelle, so geht Hollywood. Bitte lass Babylon nur einen selbstverliebten Ausrutscher gewesen sein!

Bild: sokra, 2023: https://sonjakrause-malerei.de

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